Möbelgestalten lassen sich charakterisieren wie die menschliche Gestalt – hochgewachsen oder kleinwüchsig, bodenständig stämmig oder rank und schlank aufstrebend, anmutig, schwerfällig, gesetzt oder leichtfüßig … Möbel zu gestalten berührt damit auch immer die Frage der Verhältnismäßigkeit: Passt das Gestell zur Platte, die Holzdicke der Schubkästen zur Zarge, ist das Ganze wirklich aus einem Guss oder die Addition von Komponenten, die eigentlich nicht zusammengehören? Möbelgestalten sind Geschöpfe, für deren Authentizität wir Verantwortung tragen, die wir ins Leben stellen und die manchmal mehr mit unserer eigenen Gestalt oder unserem Wesen zu tun haben, als uns bewusst ist – das kann sich offenbaren, wenn man die Gelegenheit hat, die Menschen neben ihrem Werkstück wahrzunehmen, besonders bei den Ausstellungen von Meister- und Gesellenstücken, die ja in der Regel Arbeiten mit einer hohen persönlichen Identifikation zeigen. Hier kann man allerdings auch Überraschungen erleben – Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel.
An der Marcel Breuer Schule Berlin entstehen durch das große Einzugsgebiet zwei- bis dreihundert Gesellenstücke pro Jahrgang, für die Feldforschung also ein ideales Terrain. Hier ist über Jahre hinweg im positiven Sinne eine Angleichung des hohen Niveaus zu beobachten, das von wenigen Leuchtturmarbeiten gesetzt wurde und inzwischen von vielen angestrebt, wenn auch nicht von allen erreicht wird. Betriebe, die regelmäßig ausbilden, kennen das: Gesellenstücke, die Maßstäbe setzen, an denen sich künftige Azubis messen und an denen sie gemessen werden. Hier wird die Einzelleistung zum sozialen Faktor.
dds-Redakteur Johannes Niestrath war im Juli 2017 mit Fotograf Markus Hilbich an der Marcel Breuer Schule Berlin unterwegs.