Kräfte wirken in jedem Bauwerk, unabhängig davon, ob es sich dabei um Möbel oder Architektur handelt. Diese Kräfte auch sichtbar zu machen, kann gestalterisch reizvoll sein. David Ebel gelingt das an seinem Spanntisch auf den ersten und zweiten Blick: Die Beine sind von oben sichtbar in der Tischplatte verspannt, und der Blick unter den Tisch offenbart eine spreizbare Zargenkonstruktion, die das filigrane Möbelstück stabilisiert. In Massivholzkonstruktionen begegnet Tischlern und Schreinern das Kräftewirken des Holzes, sie müssen dem Quellen und Schwinden Raum geben. Anna Louise Fischer zeigt es an ihrem Wäscheschrank exemplarisch auf unterschiedliche Weise: Die Türen sind im Rahmenbau ausgeführt, was die Füllungen in Breite und Höhe ungehindert »arbeiten« lässt und das Bauteil durch die reduzierten Holzstärken leicht werden lässt. Die flächigen Seiten dagegen sind direkt in das Stollengestell eingenutet und die Fachböden durch profilierte Auflageleisten auf Bodenträgern von den Korpusseiten entkoppelt.
Um 90° verdrehte Rundungen prägen die Grundform des wandhängenden Beamermöbels, das durch seine betonte Öffnung für das Objektiv an eine stilisierte Kamera erinnert. Jonathan Eugenio de Almeida hat das Stück mit schön ausgearbeiteten Funktionen ausgestattet: An das Beamerabteil hinter der Drehtür schließt links, flankiert von offenem Raum, ein Block englischer Züge an, die jeweils hinter feinen Klappen verborgen sind. Ein Rollladen aus vertikalen Stäben bindet diesen Teil des Möbels optisch zusammen.
Nona Kersten hat sich für ein freistehendes Möbel entschieden, das als Steharbeitsplatz und Treffpunkt für kurze Besprechungen dienen kann. Sie lässt die luftige Architektur sichbar werden: Ablesbar gliedert sich das Highboard in Brückengestell, Korpusetagen und Oberboden. Die funktionalen Distanzhalter aus Metallrohr und Gewindestange tragen die Last über das Gestell auf den Boden ab. Im Gebrauch werden die Zwischenräume sicherlich auch als willkommene Ablage für Schriftstücke dienen!
Matthias Schmitz legt in dem modular aufgebauten Kleidermöbel eine Variabilität an, ohne schon den Schritt zum Systemmöbel zu gehen: Statt variabler Lochreihen geben wenige Bohrungen die Position von Korpuselementen und Kleiderstange vor. Durch Wenden der Leitern ist eine zweite Höhe gegeben. In klarer Ablesbarkeit der Elemente und Zuweisung der Funktionen »Verbergen, Hängen, Stabilisieren« auf die einzelnen Bauteile liegt ein Ordnungskriterium, das auch eine Basis für spielerische Details gibt, etwa humorvoll farblich abgesetzte, als Füße und Kapitele ausgeführte Aufsätze sowie die zweifarbig lackierten Fronten an Schrank und Schubkastenkorpus. Solche Möbel sind eine schöne Referenz für das gestaltende Tischlerhandwerk.
dds-Redakteur Johannes Niestrath war einer der Mitstreiter in der Jury Gute Form Köln. Am Geburtsort des inzwischen bundesweiten Wettbewerbs ist eines seiner Ziele besonders präsent: Freude an der Gestaltung zu wecken.
Steckbrief
Ausgewählte Gesellenstücke zur Guten Form auf Innungsebene Köln zeigen wir in dieser und der folgenden Ausgabe. Zu allen Stücken stellen wir auch sukzessive Videos im dds-Kanal auf Instagram. Schaut immer mal vorbei! Auch die Website des Berufskollegs Ulrepforte in Köln ist einen Besuch wert. Der zweite Teil erscheint in dds 8/2023 und trägt den Titel Sauber konstruiert.
Zeitgemäß traditionell
