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Kleinste Teilchen – größter Nutzen

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Kleinste Teilchen – größter Nutzen

Möbellacke, die nicht verkratzen, oder Edelstahlflächen, auf denen sich keine Fingerspuren abzeichnen – Produkte mit solchen Eigenschaften lassen sich gut verkaufen. Dr. Marius Kölbel und Dr. Martin Schubert von CC-NanoChem berichten, was mit Nanotechnologie möglich ist.

Vor über 2000 Jahren entwickelten Töpfer im Römischen Reich eine interessante Technologie: Sie ließen Aufschlämmungen, die bei der Vorbereitung ihrer Arbeit anfielen, längere Zeit stehen und dekantierten die oberste Schicht der Flüssigkeit, die die kleinsten, nicht absinkenden Teilchen des Tons enthielt. Mit dem abgegossenen Überstand wiederholten sie den Prozess mehrmals, bis eine fast klare Lösung entstand. Die im Wasser verbliebenen Feststoffe verwendeten sie dann für ihre berühmten Terra-sigillata-Glasuren. Sie waren nicht nur überaus hart und abnutzungsresistent, sondern glänzten auch leuchtend rot. Und was besonders wichtig war: die Einbrenntemperatur konnte gegenüber herkömmlichen Verfahren deutlich gesenkt werden. Auch die Glaser, die die Fenster gotischer Kirchen herstellten, rührten über viele Stunden hinweg feinstes Goldpulver in ihre Glasschmelzen ein, bis diese schließlich eine intensive, leuchtend rote Farbe annahmen. Was die Menschen damals nicht wussten: all das ist Nanotechnologie.

Bei den beschriebenen Verfahren aus Antike und Mittelalter entstanden Nanopartikel, die sich in ihren physikalischen Eigenschaften deutlich von denen des zugrunde liegenden, chemisch identischen Materials unterscheiden. Die Reduzierung der Sintertemperatur keramischer Werkstoffe – wenn diese in Form kleinster Partikel vorliegen – ist ebenso ein Nanoeffekt wie der Farbwechsel des Goldes hin zu Rubinrot. Heute ist man bei der Nutzung solcher Eigenschaften nicht mehr auf Zufall, Versuch und Irrtum angewiesen. Mit dem theoretischen Rüstzeug der Quantenphysik, zwei Jahrhunderten Erfahrung aus chemischer Forschung und Verfahrenstechnik sowie hochauflösenden analytischen Methoden kann man Nanomaterialien und -strukturen ganz gezielt herstellen, charakterisieren und ihre ungewöhnlichen Eigenschaften für eine Vielzahl von Anwendungen nutzbar machen.
Wo es nicht nur auf die Funktion, sondern immer auch auf die Optik ankommt, ist eine weitere Eigenschaft von Nanopartikeln von enormem Nutzen. Da sie deutlich kleiner sind als die Wellenlänge des sichtbaren Lichtes, wird dieses an ihnen nicht reflektiert und gebrochen. Sie sind unsichtbar. Glas oder transparente Kunststoffe behalten bei Beschichtung mit Nanopartikeln ihre Durchsichtigkeit; die optische Anmutung anderer Materialien wird nicht oder nur in sehr geringem Maße verändert. Die alten oder neuen physikalischen Eigenschaften der unsichtbaren Partikel jedoch verleihen der Oberfläche neue Funktionen.
Die führende deutsche Forschungseinrichtung für Beschichtungen auf Basis der Nanotechnologie ist das Saarbrücker Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM). Gemeinsam mit Partnern aus Wissenschaft, Mittelstand und Industrie, von denen viele auch im Netzwerk des Kompetenzzentrums CC-NanoChem zusammengeschlossen sind, wurden hier in den letzten Jahren viele Lösungen für verschiedenste Einsatzgebiete entwickelt. Aus dem Bereich Architektur, Glas und Möbel kommen die wichtigsten Kunden der anwendungsorientierten Auftragsforschung. Einige Beispiele sollen das Potenzial verdeutlichen. Abrieb und Kratzer durch tägliche mechanische Beanspruchung stellen ein großes Problem bei Parkettböden, Tischplatten oder Möbelfronten dar. Transparente Beschichtungen, die keramische Nanopartikel, eingebettet in eine Polymermatrix, enthalten, können hier Abhilfe schaffen.
Unsichtbar aktiv
Transparente Beschichtungen mit keramischen Nanopartikeln sind auf so verschiedene Materialien wie Holz, Metall oder Kunststoff applizierbar und verändern die vom Designer intendierte optische Anmutung nicht. Eine beispielhafte Beschichtung, ursprünglich vom INM als Autolack entwickelt, zeigt in Standard-Vergleichstests gegenüber herkömmlichen Lösungen eine um das Vierfache verbesserte Kratzfestigkeit.
Denkt man an Aufzugtüren oder Büromöbel, so ist Edelstahl vielfach ein beliebter Werkstoff. Ein wesentlicher Nachteil dieses Materials besteht darin, dass Fingerabdrücke auf ihm leider sehr gut sichtbar sind. Der Grund für diese unerfreuliche Eigenschaft liegt im Unterschied der Brechungsindizes von Edelstahl und Talg, den wir mit unseren Fingern hinterlassen. Das Auge nimmt ihn als Kontrast wahr. Mittels transparenter nanotechnologiebasierter Beschichtungen kann man nun den Brechungsindex der Oberfläche so einstellen, dass er dem der Talgablagerungen in den Fingerspuren gleicht. Die Abdrücke sind dann nicht mehr sichtbar. Die Durchsichtigkeit der hauchdünnen Beschichtung verändert auch hier die gediegene Anmutung des Edelstahls nicht. Da die Fingerabdrücke nicht wirklich verschwinden, sondern nur mit einem optischen Trick verborgen werden, ist gelegentliche Reinigung natürlich aus hygienischen Gründen weiterhin notwendig. Ständiges Putzen im Dienst der Ästhetik jedoch kann entfallen.
Titandioxid ist seit vielen Jahrzehnten als weißes Pigment in Anstrichfarben bekannt. Eine bestimmte Kristallmodifikation dieser Allerweltschemikalie, der sogenannte „Anatas“, ist ein hervorragender Photokatalysator. Das heißt, dass dieser Stoff unter der Einwirkung von ultraviolettem Licht organische Verschmutzungen innerhalb kurzer Zeit (Minuten bis wenige Stunden) bis hin zu den Endprodukten Wasser und Kohlendioxid abbauen kann.
Schmutzfresser
Katalyse an Feststoffen findet immer an deren Oberfläche statt. Besonders effektiv ist der Katalysator darum in Form von Nanopartikeln, da viele kleine Partikel in der Summe natürlich eine viel größere Oberfläche haben als größere Partikel. Selbstverständlich sind auch solche Nanobeschichtungen transparent und kommen in Japan, dem Mutterland der Photokatalyse, bereits seit Jahren in großem Stil auf Fensterglas zur Anwendung. Bei günstiger Ausrichtung brauchen diese Fenster wenig mehr als Sonnenlicht und gelegentlichen Regen, um stets sauber zu bleiben.
Weitere praktische Anwendungen sind antibakterielle Nanobeschichtungen für den Klinik- oder Sanitärbereich oder Antihaftschichten, die das Entfernen von Graffiti oder Klebstoff von Wänden wesentlich erleichtern. Außerdem ermöglicht die Nanotechnik lösungsmittelfreie, unbrennbare Binder für Naturfasern in Leichtbaumaterialien oder hocheffektive Brandschutzfüllungen für Türen oder Fenster. Auch photochrome oder elektrochrome Scheiben – Instrumente für ein effizientes Energie- und Lichtmanagement in Bürohochhäusern – basieren auf Nanotechnologie. Nicht vergessen sollte man schließlich, dass Designanwendungen der Nanotechnologie heute nicht mehr auf Goldrubinglas beschränkt sind, sondern eine deutlich größere Farbenvielfalt erlauben, unter Anwendung von Verfahren, die weniger Geduld erfordern, als die Kathedralenbauer einst haben mussten.
Nanotechnologie benötigt nur sehr geringe Mengen an Material und ist darum zu den nachhaltigen Technologien zu zählen. In den meisten Fällen sind Nanobeschichtungen mit herkömmlichen, jedem Lackierer vertrauten Verfahren applizierbar. Nanotechnologie aus dem Baumarkt wird allerdings auch künftig eher die Ausnahme bilden. Um optimale Funktionalität zu gewährleisten, ist meist eine kundenspezifische Anpassung an die jeweilige Problemstellung nötig. Dies erfordert oft noch einen gewissen zeitlichen und finanziellen Entwicklungsaufwand.
Nanotechnik für Tischler
Bei den genannten Beispielen handelt es sich keinesfalls um Entwicklungen, die in den Pipelines der Wissenschaftler ihrer Anwendung harren. Viele der Produkte sind bereits auf dem Markt. Photokatalytisch selbstreinigendes Glas gibt es nicht nur in Japan; hierzulande kann man es von den großen Herstellern Saint-Gobain und Pilkington beziehen. Dachziegel, die das gleiche Prinzip nutzen, bietet das deutsche Unternehmen Erlus an. Auch der Hersteller Nano-X ist auf diesem Gebiet aktiv. Nanotechnologiebasierte Brandschutzgele werden von der Schweizer Firma Interver Specialty Glass produziert und sind zum Beispiel bereits auf dem Flughafen von Dubai zum Einsatz gekommen. Kalthärtende Nanoversiegelungen für mineralische Untergründe wie Beton, in dekorativen Farben und teilweise auch mit photokatalytischer Funktion ausgestattet, gibt es von dem saarländischen Unternehmen Viking Advanced Materials. Atmungsaktive Anti-Graffiti-Versiegelungen werden von Nanogate bereitgestellt. Darüber hinaus bietet diese Firma auch Nanobeschichtungen für Holz an. Für die meisten dieser Produkte gilt, dass optimale Funktionalität und lange Lebensdauer nur dann gewährleistet sind, wenn die Beschichtung im industriellen Prozess appliziert wurde und fest auf dem Substrat verankert ist. Für den Tischler, der Nanotechnologie in seiner Werkstatt nutzen möchte, ist das Angebot noch begrenzt. Zwar werden bereits Nanoversiegelungen für verschiedene Untergründe angeboten, die auch der Endanwender ohne Beschichtungsanlage aufbringen kann. In vielen Fällen können diese bezüglich Lebensdauer aber mit den industriell hergestellten Beschichtungen nicht konkurrieren und sind konventionellen Lösungen nicht unbedingt überlegen. Hinzu kommt, dass einige Anbieter den Begriff »Nano« nur als Marketinginstrument benutzen, ohne dass ihre Produkte Nanotechnologie im strengen Sinne enthalten. Dennoch ist der Endanwendermarkt für die Hersteller natürlich sehr interessant, und es gibt vielfältige Bemühungen, Nanotechnologie auch für den einzelnen Handwerker effektiver nutzbar zu machen.
Wer die strategische Entscheidung trifft, seine Produkte heute mit erst jüngst patentierter Nanotechnologie zu veredeln, wird auf lange Zeit einen Vorsprung vor dem Wettbewerb haben und seine Kunden vom hinzugewonnenen Nutzwert überzeugen können.
Dr. Marius Kölbel und Dr. Martin Schubert
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