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Wo die Vier-Tage-Woche lockt

Fachkräftemangel auf dem Land
Wo die Vier-Tage-Woche lockt

Wer in einer strukturschwachen Region beheimatet ist, muss sich Gedanken machen, wie er gutes Personal findet und hält. Schreinermeister Nico Gedert sucht vor allem eine Führungskraft, die ihn im Betrieb unterstützt. Mit Geld alleine, ist die nicht zu finden …

Simone Mager-Kwiczorowski, Bad Sobernheim

Im Besprechungszimmer der Gedert Möbelwerkstatt im kleinen Örtchen Starkenburg auf den Hunsrückhöhen steht ein alter Gebetsstuhl. Aufwendig geschnitzt zieren ihn grimmig dreinschauende, schuppige Drachenköpfe, die ihre Zunge rausstrecken. Die Rückenlehne schmücken Blumenmotive. »Schon unsere Vorfahren, die ersten Schreiner der Gederts haben erkannt, dass man mit besonderen Angeboten für die Eitelkeiten der Menschen gute Geschäfte machen kann. Der Gebetsstuhl war für die hohen Herrschaften gedacht und markierte ihre besondere gesellschaftliche Stellung, wenn sie in die Kirche kamen.« Seniorchef Robert Gedert könnte noch viele solcher Geschichten über den Betrieb erzählen. Der Hausname der Vorfahren der Gederts lautete auf moselländisch »De Schwed«. Denn belegt ist, dass die Möbelwerkstatt in ihren frühen Jahren am schwedischen Königshof tätig war. Über 100 Jahre alt ist die Möbelwerkstatt, bis heute steht sie auf gesunden Beinen.

Wohin steuert das Unternehmen?

Während der Feierlichkeiten zum 100-jährigen Jubiläum im Jahr 1992 hatten die Mitarbeiter für die Kinder auf dem Fest kleine Boote geschreinert. Eines davon steht im Büro von Chef Nico Gedert. Wohin er das Unternehmen schiffen wird, hängt derzeit entscheidend von der Frage ab, ob er Unterstützung an der Spitze des traditionsreichen Handwerksbetriebs finden kann. Dazu haben sich die Gederts jetzt ein neues Konzept überlegt. Zugleich machen die Schreiner vom Land klar, dass beim Thema »Fachkräftemangel im Handwerk« die Politik dringend gefordert ist.

Nico Gedert sucht einen Sparringspartner. Jemanden, der Spaß hat, mit ihm gemeinsam an der betrieblichen Entwicklung zu arbeiten und zugleich einen Schwerpunkt im Bereich Betriebswirtschaft mitbringt. Diesen Part hatte bis vor drei Jahren noch sein Bruder Marco inne. Doch der ist mit seiner Internetplattform www.barrierefrei.de unternehmerisch neue Wege gegangen, setzt auf den Verkauf von Rollstuhlrampen über das Internet und ist mittlerweile aus familiären Gründen nach Trier gezogen. Nach einem gescheiterten Versuch, einen Schreinermeister mittleren Alters einzubinden, will Nico Gedert jetzt personell gezielt auf Mitarbeiterbindung setzen.

Vier-Tage-Woche und Erfolgsprämie

Was er umsetzen will, nennen Marketing-Fachleute »Employer Branding«. Für die Gederts heißt das: Bei der Mitarbeitergewinnung auf das setzen, was sich Mitarbeiter heute wünschen. »Noch mehr Geld ist nicht von Interesse, sondern mehr Freizeit, eine bessere Work-Life-Balance, mehr Zeit für Hobby oder Familie, mehr Flexibilität in der Arbeitsgestaltung«, ist Nico Gedert überzeugt. Deshalb setzt das Employer Branding der Gedert Möbelwerkstatt auf ein Vier-Tage-Modell. Zum Grundlohn soll eine Erfolgsprämie hinzukommen sowie Betriebsanteile an der GmbH, die ohne Eigenkapital erworben werden können. »Dazu kommt: arbeiten, wo andere Urlaub machen, bezahlbarer Wohnraum, die Chance, sich etwas Eigenes aufzubauen und Verantwortung für andere zu übernehmen, eben nicht alles alleine an der Backe zu haben«, stellt Nico Gedert sein Konzept vor.

»Das Landleben ist meine Welt«

»Entweder es passt menschlich gleich oder gar nicht«, weiß der junge Schreinermeister und Betriebswirt im Handwerk. »Wir haben schon Gespräche geführt mit wirklich klasse Leuten. Wenn sie beim zweiten Termin ihre Partnerin mitgebracht haben, kam die Frage auf: Wo ist denn hier die nächste U-Bahn und damit war der Käse gegessen. Hierhin gehört jemand, der sagt, das Landleben ist meine Welt«, skizziert Nico Gedert.

Klar, es muss also jemand sein, der beim Anblick von Wald und Wiesen nicht gleich an Zecken denkt und für den Theaterbesuch eine gewisse Fahrstrecke in Kauf nimmt. »Wir müssen Stadtmenschen nicht das Land schmackhaft machen. Schwimmbäder, Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen, die gibt es hier auch. Und dazu noch Bauland ab 35 Euro pro Quadratmeter. Gleichzeitig wird in der Stadt der Wohnraum knapp«, wundert sich Nico Gedert. »60 Prozent der deutschen Bevölkerung lebt auf dem Land«, bekräftigt sein Vater Robert. »Die Politik macht da vieles falsch. Warum werden nicht Behörden und Hochschulen gezielt auf dem Land angesiedelt? Die Eigentumsbildung als dauerhafte Daseinsgrundlage ist auf dem Land doch viel günstiger«, wundert er sich.

Azubis sind nicht zu finden

Vier Facharbeiter und eine Bürofachkraft beschäftigt Nico Gedert derzeit. Einen Auszubildenden würden sie gerne einstellen, doch es gab keine Bewerber. Gedert setzt betrieblich einen Schwerpunkt auf Vinotheken-Bau – das bietet sich an, so direkt an der Mosel. Gerade wurde ein Auftrag von 600, mit einem Logo versehenen, hochwertigen Schneidebrettern für einen bekannten Fernsehkoch erfolgreich abgewickelt. Die Auftragsbücher sind voll. Der Betrieb ist auch Dienstleister für andere Schreiner.

Die Möbelwerkstatt sieht der Chef auf einer gesunden Basis und weiter entwicklungsfähig. Online hat ihr Nico Gedert unter www.gedert.de ein neues Outfit verpasst, ohne die Traditionsmarke und das Firmenlogo abzulegen. Zugleich weiß er: Auf Dauer muss er sich entscheiden, ob er weiter ausbauen will. An seiner Seite wünscht er sich dazu einen »Handwerker, kann auch ein Techniker sein«, der bereit und in der Lage ist, am Produkt mitzuarbeiten. »Kein Schlipsträger«, jemand, der »den Schreinerblick hat, der betriebswirtschaftliche Kenntnisse mitbringt und der für die Arbeit brennt«.


Fachkräftemangel auf dem Land

Jedes Jahr fehlen nach Angaben von Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer 15 000 bis 20 000 Azubis. Etwa 50 000 Betriebe werden in Deutschland wahrscheinlich nicht übernommen. In der Folge können zwischen 250 000 und 300 000 Arbeitsplätze wegfallen. Besonders betroffen seien davon Betriebe auf dem Land. Wollseifer kritisiert, der drohende Verlust scheine niemanden zu kümmern, auch nicht in der Politik.

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