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Bögelsack Möbelmanufaktur realisiert Entwurf für Stihl

Wandgestaltung im Klinikum Stuttgart von Bögelsack Möbelmanufaktur
In die gebaute Haut gestochen

Die digitale »Denke« inspiriert Schreiner und Gestalter zu Experimenten und erschließt attraktive Optionen gestalterischer Teilhabe. Ein Projekt der Bögelsack Möbelmanufaktur.

Klaus-Peter Senger

Im Frühjahr 2022 verlor die Eva Mayr-Stihl Stiftung, eine der größten Familienstiftungen Deutschlands, die sich in der Medizin, den Forstwissenschaften und den Künsten engagiert, ihre Stifterin. Der Vorstand hatte den Wunsch, sie nach ihrem Tod in ihrem Stiftungsgebäude in Waiblingen zu würdigen und ihrer Persönlichkeit inmitten ihres Lebenswerks eine angemessene Sichtbarkeit zu verleihen. Für die moderne, gleichwohl klare Innenarchitektur des Gebäudes zeichnete der Mailänder Designer Antonio Citterio vor sieben Jahren verantwortlich. Axel Müller-Schöll hatte die Idee, das Porträt der Stifterin in die exponierte – 7,50 m hohe und 4,50 m breite – Eichenholzwand, die den Luftraum zwischen der Veranstaltungs- und der Büroetage verbindet, einzuarbeiten. In einem ersten Versuch wurde das Porträt in unterschiedlich breite Linien aufgerastert. Der Ansatz: Mit einer Shaper oder ganz analog mit der Oberfräse direkt in die Holzwand einzufräsen – vielleicht sogar freihändig, unter Zuhilfenahme eines Beamers, der das Motiv bei Nacht von der gegenüberliegenden Seite aus projiziert.

Doch so einfach war es nicht. Das Motiv war nach dem Rastern nur unbefriedigend wiedererkennbar und es musste zur Realisierung der Idee weiter ausgeholt werden. Dazu bildete Müller-Schöll, der auch an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale als Innenarchitekturprofessor lehrt, ein Team. Er holte die Studierenden Lucas Bögelsack und Michel Goß, die als Schreiner bereits Erfahrung mitbrachten, sowie den Kommunikationsdesigner Jakob Eskofir, der sich gut mit dem Rastern von Bildern auskannte, ins Boot. Zusammen erarbeiteten sie Musterausschnitte im Maßstab 1:1 sowie Prints des kompletten Motivs im selben Maßstab. So konnten sie realitätsnah die Wiedererkennbarkeit testen und sich mit den Aufraggebern abstimmen.

Bögelsack Möbelmanufaktur

Nach nahezu zwanzig Versuchen mit unterschiedlichen Porträtvorlagen, Auflösungen und grafischen Interpretationen war die Lösung gefunden: eine Rasterung mit fünf verschiedenen Punktgrößen, die die charakteristischen Merkmale des Bildes erfolgreich transformierten. Nach der Abnahme der Lösung stand die Strategie der Fertigung an.

Die bestehenden furnierten Paneele wurden auf Tischlerplatten gefertigt, doch war der raue Duktus, der sich bei so vielen Bohrungen in dieses Material ergeben würde, nicht gewünscht. Daher stellte die Bögelsack Möbelmanufaktur mit Furnier von Schotten & Hansen eine weitere identische Furnierwand her, aber diesmal auf schwarzem MDF. Sie hatten die Wand seinerzeit geliefert. Danach wurden die fertigen Paneele aus Oberbayern zum CNC-Frässpezialisten Georg Ackermann in die Nähe von Würzburg gebracht, der die fast 10 000 kreisrunden Vertiefungen in fünf verschiedenen Durchmessern exakt einfräste.

Fünf verschiedene Durchmesser

Das Tischlerteam der Bögelsack Möbelmanufaktur montierte im März 2023 die passgenauen Puzzleteile in nur anderthalb Tagen im Stiftungsgebäude zum einem Bild. Die Wirkung ist erstaunlich, als wäre die Wand schon immer dafür gedacht gewesen. Sie trägt nun eine Art von Tattoo, das das Gebäude künftig neben der stimmigen Innenarchitektur auch mit dem Charisma der Stifterin beseelt. Das Ergebnis rechtfertigt den erheblichen Aufwand.

Die Resonanz übertraf alle Erwartungen und brachte das Klinikum Stuttgart auf die Idee, im Neubau ihres Krebs-Zentrums der Stifterin ebenfalls eine unmittelbarere Präsenz zu verleihen. Die Klinik stand zu diesem Zeitpunkt kurz vor der Fertigstellung. Sie verfügt im Erdgeschoss über eine riesige Glaswand. Hier befinden sich die Anmeldung und der Wartebereich, die sich großzügig zur belebten Stadt, dem gegenüberliegenden Park und dem Universitätsgelände öffnen. Auch hier gibt es eine dominante Wandfläche, die unmittelbar dem Tageslicht ausgesetzt ist – allerdings nicht von oben, sondern von der Seite und nach Südosten ausgerichtet.

Spiel mit dem Tageslicht

Um dieses sich ständig wandelnde Streiflicht auszunutzen, wurde das Porträt nicht subtraktiv in Form einer Verkettung von Vertiefungen eingebracht, sondern additiv. Kupferbolzen ragen als Rasterpunkte aus der Fläche heraus und interagieren mit dem seitlich einfallenden Tageslicht. Die Umsetzung dafür verantworteten diesmal Innenarchitekt Robert Hahn, gelernter Tischler in den Deutschen Werkstätten Hellerau, und Mattes Hosemann, Industriedesigner und gelernter Schlosser. Die beiden betreiben in Halle an der Saale eine Werkstatt, die sich kreative Lösungen in hoher handwerklicher Qualität zum Ziel gesetzt hat. In kurzer Zeit entstanden eine Reihe erstaunlicher Referenzprojekte. Die Einfachheit der Idee – »Löcher in die Wand bohren und Bolzen einstecken« – war in der Klinik nur mit großer Raffinesse einzulösen. Das Brandschutzkonzept verbot, auch nur ein einziges Loch in die tatsächliche Wand zu bohren. Hahn & Hosemann hängten die mehrteilige und mit Malerfolie bezogene 13 m2 große MDF-Tafel komplett, aber vollkommen unsichtbar von der Decke ab. Zudem strichen sie schon in der Werkstatt die Fläche mit der Wandfarbe des Klinik-Foyers und setzten bereits alle Bolzen in die CNC-gefrästen Löcher bis auf die Montage-Nahtstellen. Dass das Meer von Stiften seine leuchtende Farbe nicht verliert, wenn das Kupfer oxidiert und dunkel wird, ermöglicht die Galvanotechnik. Zudem trugen die Spezialisten beim Einbau Glacéhandschuhe.

Die Wand als Raumkante bleibt spürbar. Das einfallende Licht vermittelt einen Anflug von Heiterkeit. Denn darum ging es auch: dem Empfang und Eingangsbereich, den überwiegend Menschen in gesundheitlicher Sorge aufsuchen, weil sie beispielsweise einen niederschmetternden Befund zu verkraften haben, ein Fluidum der Ermutigung und warmherziger Erbauung zu verleihen. Die gebündelte medizinische Kompetenz, die sich in diesem neuen Gebäude konzentriert, verfolgt eine Strategie der kurzen Wege und der interdisziplinären Bekämpfung des heimtückischen Krebses. Ermöglicht wird dies durch den Bürgersinn dieser Stifterin, deren Name das Cancer Center nun trägt und deren zugewandte Aura dort nun auch einen würdigen Platz gefunden hat.


Steckbrief

Team: Prof. Axel Müller-Schöll
(Idee und Entwurf), Michael Goß, Lucas Bögelsack, Robert Hahn (Produktentwicklung), Jakob Eskofir (Kommunikationsdesign)

Ausführung: Bögelsack Möbelmanufaktur, Halberstadt (Stiftungsgebäude, Waiblingen), Hahn & Hosemann,
Halle an der Saale (Klinikum Stuttgart)

instagram.com/studio_hahn_hosemann

www.tischlerei-boegelsack.de

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