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Erschließungskunst

Optimierte Wohnraumnutzung unterm Dachboden durch Kompakttreppen
Erschließungskunst

Jeden Quadratzentimeter bracher Raumfläche für seine Bauherren in nutzbaren Wohnraum zu wandeln, ist die Maxime von Gerd Streng. Eine Doppelhaushälfte in Hamburg-Osdorf erweckte der Architekt mit Pragmatismus und cleveren Details aus dem Dornröschenschlaf.

Gerd Streng, Architekt, Hamburg

Über die Jahre haben sich fast 30 Hausprojekte angesammelt, die der Hamburger Architekt Gerd Streng unter dem Begriff »Stair Case Study Houses (SHSH)« seinen Kunden als Lösung bei fehlendem Wohnraum entwickelt hat. Die Ausgangslage ist fast immer dieselbe. Was tun, wenn im gewachsenen Bestand der Metropolregionen Wohnraum in Bestandsgebäuden für junge Familien nicht ausreicht? Gerd Streng zeigt mit kreativen und innovativen Ansätzen, wie man vorhandenen Wohnraum optimiert und dabei jede einzelne noch so kleine Raumreserve aktivieren kann.

Vor allem im Umfeld der größeren und begehrten urbanen Regionen stellt er unter Beweis, dass eine Nachverdichtung des Bestandes oftmals die nachhaltigere Alternative zu Umzug und Neubau darstellt und den Bestand sowohl funktional als auch ästhetisch aufwertet. Insbesondere die platzsparende Erschließung und Integration bisher schlecht genutzter Spitzböden ist für Streng zum Aushängeschild für seine Arbeit geworden – frei nach seinem Motto »Einbreiten statt ausbreiten«.

Reduzierung von Verkehrsflächen

Im südlichen Hamburg-Osdorf hatten die Bauherren, ein Ehepaar mit Kleinkind, das Glück, eine charmante, unverbastelte Doppelhaushälfte aus den 1950er-Jahren für sich zu erwerben. Die Aufgabe bestand nun darin, das Haus energetisch auf einen zeitgemäßen Stand zu bringen und die Grundrisse in einem gestalterischen Gesamtkonzept räumlich und funktional an die neuen Anforderungen anzupassen.

Dies beinhaltete vor allem das Lokalisieren eines neuen Standortes für die Erschließung des Spitzbodens, ohne ein Durchgangszimmer zu schaffen. Des Weiteren galt es, Schrank- und Abstellräume geschickt in die Gebäudestruktur einzubetten.

Die ursprüngliche Situation mit Raumspartreppe zum Speicher erzeugte ein Durchgangszimmer im Obergeschoss und die giebelseitige Erschließung des Spitzbodens generierte überproportional viel Verkehrsfläche. Der neue Standort der Treppe direkt neben der Haupttreppe zum Obergeschoss fügt sich nun stimmig in die Bewegungsflächen des kompakten Hauses ein und man betritt den Speicherraum mittig und ohne zusätzliche Verkehrsflächen zu erzeugen. Das Dach ist mit einer neuen Aufsparrendämmung ausgestattet, die die Balkenkonstruktion sichtbar lässt und die maximale Nutzung des Innenraumes ermöglicht. Etliche neue Dachflächenfenster sorgen für Tageslicht auf allen Ebenen.

Periskop-Funktion als Verbindung

Die bestehende Deckenöffnung für die ehemalige Sambatreppe an der Giebelseite zum Nachbarn spielt eine besondere Rolle in der Vertikalverbindung des Hauses. Die neuen Schränke unterhalb und oberhalb der mit Verbundsicherheitsglas verglasten Deckenöffnung sind jeweils mit einer verspiegelten Nische ausgestattet. Ähnlich der Funktionsweise eines Periskops werden auf diese Weise neue und überraschende Blickachsen diagonal durch die Obergeschosse geschaffen. Beide Spiegel sind 45° aus der Vertikalen gedreht und exakt übereinander so angeordnet, dass der Sehstrahl vom Obergeschoss bis zum gegenüberliegenden Giebel des Spitzbodens geleitet wird. Insbesondere die Spiegelungen über mehrere vertikale Spiegelebenen erzeugen unerwartete, »auf dem Kopf stehende« Perspektiven.

Neues bleibt ablesbar in Kupfer

Ein im Deckenpaket eingearbeiteter, elektrisch betriebener Verdunklungsvorhang kann horizontal unter der Verglasung bewegt werden und sorgt für Privatheit im Schlafzimmer der Eltern und im Spitzboden. Die neuen Schränke sind hochwertig weiß lackiert ausgeführt (RAL9010) und Sockelleisten sowie Akzentflächen neben den Spiegeln sind mit 0,8 mm dicker, unbehandelter Kupferfolie beschichtet.

Dieses Farb- und Materialkonzept gilt für alle neuen Einbauten vom Erdgeschoss bis zum Spitzboden. Die zurückhaltenden weißen Oberflächen kontrastieren zu den warm reflektierenden Metalloberflächen, die das üppige Tageslicht der Dachflächenfenster tief in das Gebäudeinnere lenken.

Die Erschließung des Spitzbodens gelingt über eine neue, frei geformte Raumspartreppe unter einem großzügigen Dachflächen-Doppelfenster, das für mehr Kopffreiheit sorgt. Die Treppensteigung folgt nach einer 180°-Wendelung der Dachneigung.

Die neue Position der Treppe minimiert Verkehrsflächen und erlaubt nun die Nutzung von zwei großen Räumen im Obergeschoss ohne Durchgangszimmer. Eine zweiflügelige Tür »über Eck« ausgeführt folgt der diagonalen Geometrie der Treppe und dient als Raumabschluss zum Kinderzimmer. Der Raum unter den ersten beiden Treppenstufen ist mit zwei Auszügen ausgestattet und der Raum unter den darüber liegenden drei Stufen ist vom Kinderzimmer aus als Nachttischregal neben dem eingepassten nach oben klappenden Bett nutzbar.

Der Treppenraum ist mit Kupfergriffen als Haltemöglichkeit ausgestattet und kupferverkleidete, kreisrunde »Tatzen« vergrößern die Auftrittsfläche und Trittsicherheit an einigen Stufen.

Den oberen Raumabschluss bildet eine begehbare, lichtdurchlässige 40-mm-Wabenkernplatte aus Polycarbonat (Hersteller design composite), die sich durch einen ausgeklügelten Führungsmechanismus unter der Dachschräge hinweg zusammenfaltet, um eine Kollision mit der Dachschräge zu vermeiden. Ein Pendelstab aus Edelstahl sorgt beim Schließvorgang für die präzise Zwangsführung der Faltklappe in das Auflagerprofil. Eine exakt positionierte Gasdruckfeder verringert spürbar den Kraftaufwand und dient als Öffnungsbegrenzer.

Das obere Dachflächenfenster bleibt hierbei auch bei geschlossener Platte noch immer öffenbar. Die gesamte Treppenanlage ist aus 30 bis 40 mm starken, beschichteten Multiplexplatten ausgeführt und einige Wangen sind auch hier mit Kupfer verkleidet.

Konstruktiv kreative Wohnwand

Der Wohnraum im Erdgeschoss ist mit einem neuen Bücherregal ausgestattet, das repräsentative Teile der umfangreichen Bibliothek der Bauherrin, einer Kunsthistorikerin, aufnimmt.

Das Regal ist mit einer dreiseitig verglasten Kaminofen-Anlage kombiniert, deren Elemente mit starken Magneten hitze-/ausdehnungsunempfindlich gekoppelt sind. Ein kupferverkleideter Drehflügel neben dem Kamin reflektiert dessen Wärmestrahlung in den Raum und weg vom Fernsehgerät – das bei Nichtbenutzung hinter Schiebetüren mit Kupferverkleidung verschwindet.

Die hitzeempfindlichen Teile des Regales sind mit einer Brandschutzverkleidung (Promat) unter dem Kupfer ausgestattet, das zwängungsfrei hohen Temperaturunterschieden widersteht. Die Gesamtkonstruktion ist vor Einbau mit dem Schornsteinfeger abgestimmt worden.

Als durchgehend gestalterisches Thema kommen auch hier unbehandelte Kupferoberflächen zum Einsatz, die abhängig von der Nutzung unterschiedliche Patina entwickeln und warme Lichtreflexionen erzeugen.

Die umfangreichen Einbauten wurden von zwei unterschiedlichen Tischlereien ausgeführt, was aufgrund der guten internen Kommunikation zur Ausführung der Oberflächen zu einem absolut homogenen Erscheinungsbild führte.

Alle Eingriffe reagieren zwar auf individuelle Gegebenheiten vor Ort und erforderten einen hohen Detaillierungsgrad – sie stehen in ihrer Gesamtheit jedoch prototypisch für die Bauaufgabe eines «Stair Case Study Houses«: ressourcenschonende Optimierung vorhandener Bausubstanz ohne Neubau erforderlich zu machen.


Steckbrief

Planung: Gerd Streng, Architekt BDA, Hamburg, www.gerdstreng.de

Tischlerarbeiten/Treppe:
Damen und Herren Tischlerei,
www.damenherren.de

Innenmöbel Ralf Staben,
www.innenmoebel.de

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