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Haut aus Stein

Gestaltung
Haut aus Stein

Mit der neuen Domsingschule in Stuttgart ist den Architekten ein reizvoller Baukörper gelungen. Die Eschgfäller GmbH Ludwigsburg hat die komplexen ästhetischen und akustischen Anforderungen des Innenausbaus meisterhaft umgesetzt.

Dipl.-Ing. m. arch. Karl Amann

Die neue Domsingschule bietet den Chören der Domkirche St. Eberhard einen zentralen Ort für die Probenarbeit und steht darüber hinaus Gästen offen. Das Gebäude beinhaltet zwei Chorsäle sowie Räume für die Stimmbildung, für die Betreuung der jugendlichen Gesangsschüler und für die Verwaltung. Dazu waren eine Tiefgarage und vier Wohnungen auf dem Grundstück unterzubringen, das inmitten einer für Stuttgart typischen Hanglage mit zum Teil noch intakter Gründerzeitbebauung liegt. Die Häuserzeile, in die der Neubau einzufügen war, setzt sich dagegen aus Nachkriegsbauten mit sehr unterschiedlichen Höhen zusammen. Die Architektur der Schule versucht, zwischen ihnen zu vermitteln und das vorgefundene Arkadenthema aufzugreifen. Als Raum bildendes und Gestalt prägendes Element faltet sich die Ziegelfassade bis in die Tiefe des Grundstücks hinein und umschließt damit sämtliche Nutzungsbereiche mit einer schützenden Haut. Durch Einschnitte in die Ziegelhaut werden einzelne »Hautlappen« aufgeklappt, eingewickelt und ausgebeult, um so verschiedene Belichtungs- und Eingangssituationen zu ermöglichen. Dadurch werden auch die beiden Kernelemente des Gebäudes, der große und der kleine Chorsaal, von außen ablesbar.
Durch die plastische Behandlung der Fassade löst sich der harte Charakter der Ziegelwand teilweise auf. Auch konnte weitgehend auf konventionelle, aus der Fassade herausgeschnittene Lochfenster verzichtet werden. Die Offenheit und Geschlossenheit der Haut stehen in engem Zusammenhang mit den Vorgaben der unterschiedlichen Nutzungsbereiche und entsprechen so auch den Anforderungen an die Akustik in den Chorsälen. Im Bereich des Laubengangs der Wohnungsgeschosse löst sich die Ziegelhaut in eine gitterartige Struktur auf.
Auch wenn es sich bei der Domsingschule um ein reines Probengebäude handelt, sollte in der Gestaltung der Innenräume deutlich zum Ausdruck kommen, welche Wertigkeit der Bauherr den im Hause stattfindenden Aktivitäten gibt. Besonders deutlich wird dies in den Chorsälen, einem kleineren ca. 80 m2 grossen Saal, der als eine Art klassisches Rückgebäude den kleinen Hof auf der Nordseite begrenzt, und dem Herzstück des ganzen Hauses, dem großen Chorsaal, dessen Innengestaltung einer der Schwerpunkte des Projektes war. In beiden Sälen wiederholt sich das Thema der Fassade, wird aber unterschiedlich interpretiert.
Mehr als nur Probenräume
Im kleinen Saal umhüllt ein ganzer Schwarm aufeinander abgestimmter, verschiedenfarbiger Flächen und Texturen die Musiker. Teilweise sind dies akustisch wirksame Oberflächen, teilweise farbig belegte Wandoberflächen, aber auch textile Elemente und Holzoberflächen der Einbaumöbel und Wandverkleidungen.
Die Detaillierung der Innenhaut des großen Saales war für die Architekten ein besonderes Schmankerl und ist in der Ausführung eine Meisterleistung der Eschgfäller GmbH. Eine in verschiedene Höhen aufgeteilte Bambushaut legt sich wie ein Innenfutter in das Betongehäuse des Saalraumes. Sie folgt teilweise der Kontur des Rohbaus, löst sich aber auch davon, um z. B. hinter der vorschwingenden Rückwand die Abluftkanäle der Lüftungsanlage zu verstecken.
Auch am Arbeitsplatz des Dirigenten löst sich die Holzhaut von der tragenden Betonwand. Sie formt einen gebogenen »Rücken« für den Chorleiter, außerdem werden in der dadurch entstehenden Wandnische sämtliche Bedienungselemente für Licht, Lüftung, Entrauchung, Telefon usw. versteckt. Weitere Schwünge und Kurven entstehen durch Fenster und Eingangssituationen.
Die Wandverkleidung der dreidimensional verkrümmten, sich zur Straßenseite hin auswölbenden und ein Oberlicht bildenden Außenwand fächert sich streifenartig zur Rundung hin auf, um sich dann wieder akkurat in der Ebene zu treffen. Die dadurch entstehende treppenartige Kontur wiederholt das Thema der versetzt vermauerten Ziegelsteine auf der Außenseite in einem anderen Maßstab. In zwei der Wandstufen wurden Einbaumöbel zum Verstauen der Chorbücher integriert. Die Aufteilung der Wand in Einzelstreifen wird durch eine Anzahl von Farbstreifen in dem im ganzen Haus wiederkehrenden Farbspektrum verstärkt, die den Raum zu umkreisen scheinen.
Um die vom Akustiker geforderte Nachhallzeit von 0,8 Sekunden zu erreichen, wurden die Akustikpaneele mit unterschiedlich reflektierenden bzw. absorbierenden Eigenschaften entsprechend verteilt, wobei im Sockel- und Deckenbereich verstärkt absorbierende Flächen zum Einsatz kamen. Hinter der Holzwand sind an verschiedenen Stellen Tiefenresonatoren angebracht. Die in Sälen mit ähnlicher Nutzung übliche »Schuppung« der abgehängten Decken wurde vermieden. Stattdessen sah der Entwurf eine glatte Decke vor, an der zur Auflösung von Flatterechos eine Schar wolkenartiger Diffusoren hängt, die sich mit ihrer runden Form auf die Kurven und Rundungen des Saales beziehen.
Die in der abgehängten Decke versteckten Doppelfokusleuchten ermöglichen, unterstützt durch eine in den Wand- und Deckenfugen versteckte indirekte Beleuchtung, eine blendfreie Ausleuchtung des Saales. In verschiedenen Gruppen geschaltet und gedimmt können dadurch sehr unterschiedliche Raumstimmungen entstehen.

Kompakt
Domsingschule Stuttgart
Bauherr:
Katholische Gesamtkirchengemeinde Stuttgart
Architektur:
nowhere architekten stuttgart Karl Amann und Henning Volpp
70197 Stuttgart
Seibold Bloss
71332 Waiblingen
Innenausbau und Akustikwände:
Eschgfäller GmbH
71634 Ludwigsburg
Projektleiter: Klaus Schurig
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