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Mit Hand und Verstand

Ein Nachruf auf Arno Votteler
Mit Hand und Verstand

Der Designer Arno Votteler war in der jüngeren Designgeschichte einer der profiliertesten Netzwerker im Design und im Handwerk. Nun ist er mit 90 Jahren gestorben. Ein Nachruf von Axel Müller-Schöll.

Mit Arno Votteler begann Ende der 1970er- Jahre eine wichtige Entwicklung, die in einschlägigen Publikationen oft als »Stuttgarter Schule« bezeichnet wird. Er folgte seinem Mentor und Freund, dem noch vom Bauhaus geprägten Designer Herbert Hirche, als Professor an die Stuttgarter Kunstakademie. Als eine seiner ersten Maßnahmen gründete er das Institut für Innenarchitektur und Möbeldesign, um Handwerk, Wissenschaft und gestalterische Disziplinen enger zueinander zu bringen. Dieses Institut schrieb dann zusammen mit dem Landesfachverband Schreinerhandwerk Baden-Württemberg ein Stipendium für besonders begabte Schreiner aus, die sich durch ihre Meisterprüfung gestalterisch qualifiziert hatten. Sie durften in der Entwurfsklasse Votteler jeweils ein Jahr lang mitstudieren – und wurden dort von den Innenarchitektur-Studierenden schon deshalb geschätzt, weil sie viel handwerkliche Kompetenz einbrachten. Die Stipendiaten wurden darüber hinaus auch in die Forschungs- und Ausstellungsprojekte einbezogen. Markus Harm etwa baute für das Ausstellungsprojekt Erbstücke (Stuttgart, Lyon, Florenz, 1992) den Beitrag von Adolfo Natalini und durfte seinen raffinierten Höhenverstell-Mechanismus präsentieren, den er zu einem Notenständer weiterentwickelte. Arno Votteler selbst entwarf einen Leichtbau-Sessel, der in den Akademiewerkstätten gefertigt wurde.

Seminare am Weißenhof

Zweimal im Jahr veranstaltete Vottelers Institut für Innenarchitektur und Möbeldesign die legendären Weißenhof- Seminare: Hierzu wurden dann aktuelle Designer als Dozenten eingeladen, um mit Schreinern, Designern aber auch Studierenden für eine Woche lang unter einem themenzentrierten Aspekt zusammenzuarbeiten. Mit Stefan Wewerka, Köln, wurde über einen »einfachen Tisch« sinniert, mit Robert Haussmann und Alfred Hablützl, Zürich, über Entwurfsmethodik des »Swiss-Design« oder mit Borek Sipek aus Prag und David Palterer aus Florenz, unter dem Titel »Fisch & Chips« über einen Gegenstand zwischen Kunst und Design. Zusammen mit dds inszenierte das Institut 1994 ein Seminar zum Thema »Digitaler Möbelbau«: Jochen Gros, Offenbach, und Michele de Lucchi, Mailand, konnten dafür gewonnen werden, um die Gestaltungspotenziale der gerade erst aus ihren Kinderschuhen entwachsenen rechnergestützten Bearbeitungszentren, heute kurz CNC, zu ergründen, zu diskutieren und auszuloten.

Praktische Forschung

Mit der Unterstützung der Deutschen Verlagsanstalt DVA entstand in der Folge daraus ein einjähriges Forschungsprojekt, das am Institut maßgeblich von Friedrich Sulzer (1962 – 2000) betrieben wurde. Sechs ausgewiesene Designer wurden mit ebenso vielen Betrieben, die bereits über eine CNC-Fräse verfügten, in Tandems zusammengespannt und eingeladen, beispielgebende Objekte zu entwickeln. Arno Votteler entwarf einen Hocker aus Sperrholz, der mit raffinierten Einfräsungen den Sitzkomfort verbesserte und gleichermaßen eine additive Schnittstelle für dessen Reihung zu einer Bank vorgab. Robert Haussmann führte anhand der Bearbeitung eines Schalenstuhles einen feinsinnigen Diskurs zu Proportion, Geometrie und Fügung. Peter Litzlbauer entwickelte einen Tisch, inspiriert von der Formensprache der Natur und der Konstruktionsweise, wie man sie aus dem konzentrischen Zeltbau kennt. Gemeinsam mit Verlag und Fachzeitschrift hat das Institut Ergebnisse des Forschungsprojekts publiziert.

Neben seinem Engagement für die gestalterische Forschung, zu der auch weitere Publikationen gehören (Vier Generationen Sitzmöbeldesign – 125 Jahre Knoll, 1990; Wege zum modernen Möbel, DVA, 1994) war Arno Votteler weiterhin selbst als Designer aktiv. Sein OEuvre spannte sich von der Entwicklung eines neuen formalen Ausdrucks für ein Taschenradiogerät für Blaupunkt bis zum modularisierten Schiffsaufbau für Blohm & Voss. Aber insbesondere faszinierten ihn Stühle, die das Leitmotiv für seine gestalterische Arbeit darstellten. Er entwarf für viele renommierte Unternehmen und beriet Ende der 1980er-Jahre den Objektmöbelhersteller Bisterfeld+Weiß, Kirchheim Teck, beim Aufbau einer Produktpalette, die er samt und sonders selbst entwarf. Das Modell S wurde als einfacher Buchenholzstuhl zum Mega-Seller. Noch heute tut er seit über 30 Jahren in vielen öffentlichen Gebäuden seinen Dienst.

Designer und Lehrer

Wenn ein Netzwerker wie Arno Votteler, Inspirator für Generationen von Innenarchitekten und Designer, dazu vielgefragter Ratgeber für praktizierende Handwerker, aus dem akademischen Betrieb ausscheidet, kann eine Hommage nicht ausbleiben: Zu seiner Abschiedsausstellung an der Stuttgarter Akademie würdigte ihn ein gutes Dutzend renommierter Designer jeweils mit einer Cover-Version des erfolgreichen Stuhls aus der S-Serie. Auch nach seiner Zeit an der Akademie blieb Arno Votteler, seit einigen Jahren in Bürogemeinschaft mit seinem Sohn Matthias, weiter tätig, entwarf Stühle und beriet Unternehmen. Wann immer man ihn anrief oder besuchte, saß er hinter seinem Zeichentisch, bastelte an einem Modell oder skizzierte an einer neuen Idee. Er selbst ist nun nicht mehr unter uns. Dafür aber viele seiner Gegenstände, die weiter ihre jeweiligen Umgebungen prägen und jenen wachen Spirit verströmen, der hoffentlich noch lange die Szene begleiten wird.

Seminar Digitaler Möbelbau mit dds, 1994: Objekte von Robert Haussmann, Arno Votteler, Axel Müller-Schöll und Peter Litzlbauer (von links)
Fotos: Argelola

Axel Müller-Schöll war 1990 bis 94 Assistent von Arno Votteler. Als Professor lehrt er an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle und führt dort Vottelers Forschung im Kontext der Innenarchitektur mit dem idea… Institut weiter.


Buchtipp

Nicht nur Stühle heißt eine Publikation über das gestalterische Werk Arno Vottelers. Sie kann für eine Schutzgebühr von 8 Euro über das idea… Institut bezogen werden:

idea@burg-halle.de


Vita

Arno Votteler, 1929 – 2020, gelernter Möbelbauer und studierter Innenarchitekt, lehrte als Professor von 1962 an der Kunsthochschule in Braunschweig und ab 1976 an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart. Dort betrieb er von 1980 bis 1994 das Institut für Innen-architektur und Möbeldesign. Als Designer entwickelte er zahlreiche Sitz- und Objektmöbel, meistens in großen Serien.

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