Das Material Weißtanne tritt bei diesem in allem tief durchdachten Möbelstück vornehm zurück und rahmt dessen eigentlichen Zweck, das Aufbewahren einer Gitarre. Die Fügungen sind eine Augenweide! Jedes Bauteil erfährt eine sorgfältige Zuwendung. In der Überlagerung der Schiebefronten entsteht zudem ein raffiniertes grafisches Spiel, das an Kunstwerke der sogenannten »Op-Art« erinnert und dem Ganzen etwas freundliches, modernes verleiht. Als besonders gelungen empfinde ich die harmonische Proportionierung des Möbels. Ob die Meisterin sich dafür mit klassischen Proportionen befasst hat? Ihr raffiniertes Signet ließe das vermuten, einen konkreten Hinweis darauf gibt es jedoch nicht. Aber mit nur wenigen Strichen lässt sich nachweisen, dass die Harmonie dieses Ausnahme-Meisterstückes auf das Quadrat und ein Rechteck im Maßverhältnis 1:√2 rückführbar ist, das hierzulande bei Schreib- und Zeichenpapier auch als DIN-Format bezeichnet wird: die Länge des Formats entspricht der Diagonalen des Quadrates über der Seitenbreite. Die Kombination entsteht hier, indem diese Diagonale des Quadrates den Radius für einen Zirkelschlag bildet, der als Längsseite auf ein darüber liegendes Rechteck mit derselben Breitseite projiziert wird. Und ebenso wie die Diagonalen der Rechtecke im Goldenen Schnitt oder aus gegenüberliegenden gleichseitigen Dreiecken hat auch das DIN-Format einen fixen Diagonalenwinkel, mit dem sich die Proportion schnell und verlässlich nachweisen lässt (54,7°). Sicherlich kann auch ein gut trainiertes Formgefühl zu dieser Harmonie führen, man kann ihm jedoch mit geringem Aufwand ein wenig auf die Sprünge helfen – vorausgesetzt, man hat eine klare Vorstellung in Bezug auf Ausdruck, Detaillierung und die intendierte Funktion des Möbels entwickelt!
Prof. Axel Müller-Schöll lehrt an der
Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle
Innenarchitektur und Ausbaukonstruktion.
dds und dem Tischlerhandwerk ist er seit vielen Jahren beratend und als Autor verbunden.