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Der Möbelhandel hat das Sagen auf dem Möbelmarkt. Das Onlinegeschäft treiben jedoch Amazon & Co. voran. Titze skizziert die Gemengelage.

Marktmacht und Stratgie
Wohin bewegt sich der Möbelmarkt?

Der Möbelhandel und seine Verbände haben das Sagen auf dem Möbelmarkt. Das Onlinegeschäft mit Möbeln treiben jedoch Amazon & Co. voran. Branchenkenner Winfried Titze skizziert im Gespräch mit dds die Gemengelage.

Herr Titze, auf dem Möbelmarkt steht das Tandem Möbelhandel-Möbelindustrie im Wettbewerb zu den Tischlern und Schreinern. Wie verteilen sich die Marktanteile? Wer kann was besser?

Der Tischler und Schreiner hat unmittelbaren Kontakt zum Kunden und besucht ihn zum Verkaufs- und Beratungsgespräch zu Hause. Das macht der Möbelhandel schon lange nicht mehr. Der Kunde muss ins Möbelhaus kommen und wird dort fündig oder nicht. Die Beratungsqualität im Möbelhandel ist wie im gesamten Einzelhandel nicht gut. Trotz des direkten Drahts zum Kunden und der hohen Beratungsqualität der Tischler ist ihr Anteil am gesamten Möbel- und Einrichtungsmarkt verschwindend gering, weil die wenigsten Endkunden wissen, das Tischler und Schreiner ernstzunehmende Konkurrenten des Möbelhandels sind.

Wie hoch ist denn das Volumen des Möbelmarktes?

Insgesamt setzt der Möbelhandel einschließlich der Fachsortimente jährlich knapp 34 Milliarden Euro um. Die Statistiken weisen nach meinem Kenntnisstand keine differenzierten Angaben zu den Umsätzen der Tischler und Schreiner aus. Daher kann ich auch keinen Schätzwert nennen. Ich glaube jedoch, dass die Zahl sehr gering sein wird, weil, wie gesagt, die Endkunden den Schreiner als Möbelanbieter nicht kennen. In unseren Nachbarländern, etwa in Österreich, haben die Tischler und Schreiner einen ganz anderen Stellenwert.

Die Digitalisierung aller Lebens- und Arbeitsbereiche ermöglicht auch sehr flexible Möbelfabriken. Macht sich der Möbelhandel diese Flexibilität zunutze?

Bisher hat es den Anschein, dass die Digitalisierung für den Möbelhandel noch noch ein Randthema ist. Das wird sich im Laufe der Zeit bestimmt ändern. Es gibt ja Themen, an denen der Handel nicht vorbeikommen wird, etwa Smart-Home oder Smart-Furniture. Aber da ginge natürlich noch viel mehr. Mit Digitaldruck ließen sich Produkte individualisieren, ebenso mit dem 3D-Druck. Ich habe jetzt von einem skandinavischen Unternehmen gehört, das komplette Türen individuell im 3D-Druck produziert.

Erlaubt der Möbelhandel variable Abmessungen statt Rastermaßen und bringt er auch noch das Foto seines Kunden auf die Schranktür?

Diese Themen sind für ein großflächiges Möbelhaus doch gar nicht von Interesse. Das möchte möglichst hohen Umsatz erzielen und sich nicht von komplizierten Sonderwünschen ausbremsen lassen. Also setzt es auf Standardprodukte. Bei kleinen Fachhändlern mit nur 5000 m² mag es Eigentümer geben, die die Chancen der Individualisierung erkannt und den Servicegedanken ausgeprägt haben. Diese haben sich dann auch meistens flexibleren mittelständischen Einkaufsverbänden angeschlossen. Zu nennen sei etwa der Einkaufsverband »Der Kreis« in Leonberg, der sich mit dem Schreiner-Marketingverbund Creative Partner zusammengeschlossen hat.

Welche Rolle spielen die Einkaufsverbände?

Gegen Ende der 80er-Jahre hat sich der Möbelmarkt von einem Herstellermarkt zu einem Händlermarkt gewandelt. Das ist ein deutsches oder zentraleuropäisches Phänomen, im Ausland sieht das ganz anders aus. Die meisten Möbelhandelsverbände haben sich in den frühen 70er-Jahren gegründet. Heute beherrscht der Möbelhändler das Geschäft im Grunde komplett. Der Hersteller dient ausschließlich als Lieferant, wird preislich stark gegängelt und hat fast keine Chance, seine Produkte an den Einkaufsverbänden vorbei zu verkaufen. Ein großer Verband ist etwa Begros mit 5 Milliarden Euro Jahresumsatz und etwa zehn angeschlossenen Möbelhändern, die zusammen über 50 große Standorte betreiben.

Wie kam es denn überhaupt zur Gründung der Einkaufsverbände?

Früher ist vielleicht der Möbelhändler Schaffrath zum Möbelhersteller YX gegangen und hat monatlich 100 Stühle angefragt. Das Angebot von 120 DM je Stuhl war ihm zu teuer. Also hat der sich mit dem Ostermann, Porta Martin und anderen zusammengetan und monatlich 1500 Stühle geordert, die jedoch nicht mehr als 99 DM kosten durften. Für den Hersteller hieß das: Friss oder stirb.

Was waren die Folgen?

Die Möbelhersteller haben die Modell-, Preis- und Markenpolitik aus der Hand gegeben und sind nur noch Lohnfertiger. Herstellermarken sind rar, Händlermarken üblich. Außerdem löste der Kostendruck bei den Möbelherstellern eine enorme Konzentration aus.

Wie entwickelt sich der Onlinehandel mit Möbeln?

Insgesamt liegt der Umsatzanteil von Online am Gesamtmöbelumsatz zwischen 13 und 14 Prozent. Diese Zahl legt jedes Jahr um mehr als ein Prozent zu. Der Möbelhandel versucht mitzuspielen, hat aber das Thema eigentlich schon verpennt. Der größte Anbieter mit einem Onlineumsatz von fast einer Milliarde Euro ist Otto. Es folgen Amazon, Ikea, Westwing und Home 24.

Nutzen die Möbelhersteller die Möglichkeit, ihre Produkte über eigene Onlineshops zu vertreiben?

Das geschieht in Deutschland außerordentlich selten. Die Hersteller fürchten den Konflikt mit den Händlern und ihren Verbänden. Sie müssen nämlich damit rechnen, dass ihre Möbel aus den Handels- programmen herausfliegen. Anders sieht es aus, wenn der Hersteller es schafft, einen vertikalen Vertrieb, also eine Vermarktung ohne Handelspartner, aufzubauen. Im großen Stil gibt es das in Deutschland nur bei Ikea. Vorbilder gibt es in der Textilbranche, z. B. H & M oder Zara.

Welche Strategie empfehlen Sie jemanden, der jetzt in Deutschland eine Möbelfabrik gründet?

Er sollte ohne den stationären Möbelhandel arbeiten und einen oder mehrere Showrooms einrichten, dort seine Möbel zeigen und einen Multichanel-Vertrieb aufbauen, zum Beispiel mit einem Katalog und einem Onlineshop. So bewahrt er seine Selbstbestimmung und spart hohe Verbandsabgaben. Interessant sind auch vertikal ausgerichtete Geschäftsmodelle, bei denen der Kunde selbst konstruiert: z. B. deinschrank.de, masstisch.de oder okinlab.com.

Das Interview führte
dds-Redakteur Georg Molinski

Lesen Sie  hier, welche Konsequenzen die Marktsituation für die Möbelhersteller hat.


Steckbrief

Winfried Titze in Neuss berät Möbelhändler, -hersteller, deren Zulieferer sowie auch ambitionierte Tischler und Schreiner. Außerdem erstellt er Marktstudien, etwa zu einzelnen Einrichtungssparten wie Wohn- oder Badmöbel.

www.titze-online.com


»Der Möbelhandel setzt immer noch auf Standardprodukte. Die neuen flexiblen Fertigungsmöglichkeiten der Möbelindustrie will er nicht vermarkten.«

Winfried Titze

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