Die Möbelindustrie ist Pionier von Industrie 4.0. Trotzdem stoßen die Kunden im Möbelhaus auf Verkäufer, die aus Katalogen mühselig das zusammenstellen, was sich der Kunde wünscht. Warum nutzt der Möbelhandel nicht die IT-Kompetenz der Möbelhersteller?
Martin Kohnle: Zunächst einmal macht die digitalisierte Produktion die Möbel erschwinglicher. Dennoch wünscht sich der Endverbraucher zusätzlich noch effizientere und individuellere Gestaltungsmöglichkeiten. Da ist Transferleistung des Möbelhandels gefordert. Der Handel verkauft wohl lieber einfach nur das, was in den Kojen steht und zeigt wenig Interesse, die Schnittstellenfunktion zwischen Endkunde und Möbelhersteller zu verbessern.
Liegt das an den Schnittstellen oder verfolgen hier Handel und Hersteller unterschiedliche Ziele?
Dieter Rezbach: Die deutsche Möbel- und Einrichtungsbranche ist zwar, was die Digitalisierung, 3D und virtuelle Realität angeht, führend, aber die Entwicklung ist natürlich noch lange nicht abgeschlossen. Es dauert seine Zeit, bis solche Systeme durchgängig funktionieren. Auch für den weniger gut ausgebildeten Teilzeitmöbelverkäufer müssen die entsprechenden Werkzeuge am Point of Sales auch technisch beherrschbar sein.
Gibt es tatsächlich nur technische Gründe für diese Situation?
Nein, die technischen Schwierigkeiten sind zwar noch lange nicht gelöst, aber zum Teil auch nur vorgeschoben. Der Handel forciert die Digitalisierung – und damit die Vernetzung von Händlern und Endkunden – nur halbherzig, weil er seine Eigenmarken unterstützen und den Hersteller gar nicht nennen möchte. Der Hersteller soll beim Endkunden möglichst erst gar nicht in Erscheinung treten, sodass er leichter austauschbar ist und kein Direktgeschäft zustande kommen kann.
Welcher Ausweg bietet sich an?
Marc Wenzl: Industrie und Handel sollten den Kundennutzen über solche Querelen stellen und gemeinsam die Prozesse optimieren. Das ewige Hin und Her, das ein Fertigungsauftrag nach dem ersten Verkaufsgespräch durchlaufen muss, bis es in das System im Möbelwerk eingepflegt und zur Produktion freigegeben ist, dauert einfach viel zu lange.
Liegt das am Handel oder dem Möbelhersteller?
Handel und Hersteller arbeiten hier offensichtlich nicht Hand in Hand. Verzögerungen und Fehler sind die Folge. Der Hersteller pflegt z. B. den Auftrag in sein System ein, schickt eine Auftragsbestätigung zurück und wartet die Freigabe ab. Derjenige, der die Freigabe erteilt, muss nochmal überprüfen, ob alles richtig übetragen wurde. Allein dieser Vorgang kann den Auftrag leicht um ein oder zwei Wochen hinauszögern. Die Herstellerseite kennen wir gut und wissen, dass die reine Produktionszeit im Möbelwerk sehr gering ist. Manchmal dauert es nur zwei oder drei Tage.
Gibt es denn Bemühungen, diese Prozesse zu automatisieren und zu normen?
Ja, für die Teilbranchen Büro-, Wohn- und Küchenmöbel, gibt es vielversprechende Ansätze, die jedoch noch keine Norm sind. Die Aufgabe ist sehr komplex, weil es viele Möbelhändler, viele Hersteller, viele verschiedene IT-Systeme und viele verschiedene Arbeitsweisen gibt. Für den Wohnmöbelbreich gibt es beispielsweise von Handel und Herstellern gemeinsam zu nutzende Software. Auf der einen Seite pflegt der Hersteller sein Möbelprogramm ein und auf der anderen Seite konfiguriert der Händler am Point of Sales mit dem Endkunden den Auftrag und spielt diesen fehlerfrei zurück in das ERP des Möbelherstellers. Dieses System bringt dem Endverbraucher flexiblere Gestaltungsmöglichkeiten, dem Handel attraktivere Produkte und allen Beteiligten effiziente Abläufe.
Werden sich solche Lösungen auf dem Markt durchsetzen?
Dieter Rezbach: Es wäre technisch heute schon vieles möglich, der Möbelhandel muss es aber auch wollen. Seine Strategie, Eigenmarken zu forcieren und den Hersteller anonym zu halten, spricht jedoch dagegen. Da ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Einen anderen Weg sehe ich für die Branche nicht.
Kämen die Möbelhersteller auch ohne den Handel zurecht, etwa mit Onlineshops?
Demjenigen, der über den Handel vertreibt, ist dieser Weg versperrt, da der Möbelhandel die Zusammenarbeit aufkündigen würde. Im Ausland können sich die Möbelhersteller austoben, wenn sie den Aufwand nicht scheuen. Der Exportanteil der Branche liegt mittlerweile bei 40 Prozent. Besonders aktiv im Ausland sind die Hersteller von Edelmarken wie z. B. Bulthaup, Simatic oder Poggenpohl.
Wenn Sie sich heute als Möbelhersteller selbstständig machten, welche Strategie würden Sie wählen?
Martin Kohnle: Mit einem Startkapital von vielleicht 5 Millionen Euro würde ich mich für den Direktvertrieb entscheiden und meine Kraft auf Kundenwünsche und die Entwürfe konzentrieren. Gleichzeitig würde ich ein Netzwerk aufbauen, über das ich das Gros der Teile besorge. Nur Spezielles, wie besondere Oberflächen, würde ich selbst herstellen.
Das Interview führte dds-Redakteur
Georg Molinski
Branchenkenner Winfried Titze beschreibt die Machtverhältnisse auf dem Möbelmarkt.
Steckbrief
Dieter Rezbach, Martin Kohnle und Marc Wenzl von der Unternehmens-
beratung Lignum Consulting in Kupferzell entwickeln für Möbelhersteller in Industrie und Handwerk gesamtheitliche Lösungen in den Bereichen Strategie, Technik/Produktion sowie Organisation.