Die Summe der Teile macht sicher noch kein Möbel aus, doch gewährt der Blick darauf, wie diese Teile zueinander gefügt sind, häufig einen Zugang zur Gesamtgestalt eines Gesellenstücks, manchmal auch zu unterschwelligen Widersprüchen, die man in der Betrachtung empfinden kann! Zwei Beispiele seien herausgegriffen: Die Banktruhe von Johanna Kühn auf dieser Seite zeigt eine ablesbare Konstruktion aus Platten auf einem Chassis, die zerlegbar verbunden sind. Die Anleimer setzen sich vom HPL deutlich ab und erleichtern so die Zuordnung der Bauteile für den Betrachter. Auch wenn wir diese Ordnung nicht zwingend bewusst wahrnehmen, teilt sie sich doch als harmonisches Empfinden mit, im Wortsinn ist »alles in Ordnung«, auch die Betätigung der an der Rückwand anschlagenden Klappen ist durch den deutlichen Überstand selbsterklärend. Ein Beispiel für auf den ersten Blick nicht erklärbares Unbehagen findet sich auf der letzten Seite: Der klar gegliederte Kleiderschrank von Victor Leopold Gratzias gibt dem Betrachter in seiner Schönheit der Gestalt doch ein Rätsel auf – das Bild der Füllungen ist durch Rahmen ohne Not unterbrochen, da sie aus furnierter MDF bestehen. Das Auge und der mitvollziehende Tischler in uns nehmen die kleine Irritation wahr!
dds-Redakteur Johannes Niestrath findet an der Max-Bill-Schule Berlin Gesellenstücke in großer Auswahl, die sich unter verschiedenen Gesichtspunkten betrachten lassen. Alle erfahren eine hohe Wertschätzung!
Steckbrief
An der Max-Bill-Schule Berlin haben wir im Sommer 2023 aus über 200 Gesellenstücken eine kleine Auswahl fotografiert. Den ersten Teil haben wir in der Novemberausgabe vorgestellt.