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Barrierefrei? Aber selbstverständlich!

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Barrierefrei? Aber selbstverständlich!

Es wird Zeit, Barrierefreiheit als selbstverständlichen Bestandteil des Planens, Bauens und Wohnens zu betrachten. Joachim F. Giessler erläutert für dds, warum.

Das Thema »Barrierefrei bauen« war bisher belastet mit Begriffen wie »rollstuhl-, senioren-, behinderten- und altengerecht.« Dies hat nicht gerade dazu beigetragen, Barrierefreiheit bei Menschen ohne gesundheitliche Einschränkungen ins Bewußtsein zu rufen oder sogar zu realisieren. Dazu kommt, dass niemand alt werden will. Und so hört man dann oft: »Alt, krank, im Rollstuhl …? Das betrifft mich doch nicht!«

Trotzdem wird Barrierefreiheit in der Zukunft einen größeren Stellenwert einnehmen, bedingt durch die Veränderungen der demografischen Struktur unserer Gesellschaft. Die Entwicklung lässt erkennen, und sie ist für die nächsten Jahrzehnte bereits unumkehrbar, dass wir erheblich weniger Kinder haben werden, dafür aber die Zahl der älteren Menschen steigt. Dazu ein paar Zahlen:
  • Die deutsche Bevölkerung wird sich bis 2030 um etwa 5,3 Millionen Menschen verringern.
  • Die Zahl der Menschen über 60 wird bis 2030 um 4,8 Millionen ansteigen.
  • Die durchschnittliche Lebenserwartung steigt bei Männern auf 75,6 und bei Frauen auf 81,3 Jahre.
  • Die Kosten für soziale Leistungen werden voraussichtlich um 20 bis 30 Prozent steigen.
Die alternde Gesellschaft
Das bedeutet, dass erheblich mehr ältere Menschen in »brauchbaren« Wohnungen mit ebensolcher Einrichtung leben wollen. Von den 24, 4 Millionen der über Sechzigjährigen sind das 94 Prozent. Nur vier bis sechs Prozent der Bevölkerung geht ins Heim. Die anderen wollen und müssen in ihren Wohnungen bleiben, denn Heim- oder Pflegeplätze stehen nicht in ausreichender Anzahl zur Vefügung und sind kaum zu bezahlen. Eine Wohnung in einer Seniorenresidenz können sich ohnehin nur noch Besserverdienende leisten. Wenn diese Entwicklung so vorauszusehen ist, ist es doch sinnvoll und volkswirtschaftlich richtig, neue barrierefreie Wohnungen zu schaffen oder vorhandene Wohnungen durch entsprechende Maßnahmen anzupassen! Damit kann eine selbständige und sichere Lebensführung in der eigenen Wohnung unter den Gesichtspunkten Privatheit, Geborgenheit und Sicherheit bis ins hohe Alter hin ermöglicht werden.
Barrierefreiheit ist für die ganze Familie in allen Generationsphasen sinnvoll. Sie bedeutet vor allem auch Sicherheit, weniger Unfälle, Erleichterungen im täglichen Leben und in Verbindung mit Technik und neuen Produkten sinnvollen Komfort. Barrierefreiheit bedeutet in der Neubauphase wenig Mehrkosten. Hier wird von null bis drei Prozent gesprochen. In der Renovierungsphase kann der Wert etwas höher liegen. Trotzdem werden immense Kosten durch vorausschauendes Planen und präventive Maßnahmen gespart. Es ist an der Zeit, Barrierefreiheit für alle Generationen als selbstverständlichen Bestandteil des Planens, Bauens und Lebens zu akzeptieren!
Die Folgen für das Bauen
Die aus den genannten Fakten resultierenden Aufgaben für Planer und Handwerker sind recht klar zu formulieren:
  • Anpassung bestehender Wohnungen, wenn plötzliche gesundheitliche Einschränkungen auftauchen
  • präventive Anpassung von Wohnungen im Zuge von Renovierungen und unter Beachtung der Kriterien der Barrierefreiheit, sofern der Bauherr ein Bewusstsein dafür entwickelt hat
  • für neue Wohnungen: fertigen und montieren von Bauteilen unter Beachtung der Kriterien der Barrierefreiheit, sofern der Planer vorausschauend geplant hat oder der Handwerker mit seinem entsprechenden Wissen Einfluss auf die Detailausführung nehmen kann
  • Anpassung bestehender Möbel und Innenausbauten
  • Neuentwicklung von Möbeln und Einrichtungen, als Einzelanfertigung oder im eigenen Betrieb herzustellende Kleinserie
Die Voraussetzung für solches Handeln ist professionelles, ganzheitliches Wissen: Menschen leben individuell, also sind auch die Anpassungen individuell abzustimmen und vorzunehmen. Ich kann nicht eine alte Dame für vierzehn Tage in ein Hotelzimmer stecken und ihr nach ihrer Rückkehr die angepasste, renovierte und völlig auf den Kopf gestellte Wohnung präsentieren – sie würde sich nicht mehr zurechtfinden.
Zu beachten sind neben den einschlägigen Normen wie der DIN 18025, Teil 1 und 2, und DIN 18024, Teil 2, die in einigen Bundesländern vorhandenen Gleichstellungsgesetze. Gewerkespezifische Weiterbildungen bietet z. B. das Institut für Wohnen im Alter, Bad Tölz, an, aber auch Fachverbände und Handwerkskammern.
Ein praktisches Beispiel
Ein Ehepaar, dessen Kinder aus dem Haus sind, will im Zuge einer Renovierung die Wohnung in Voraussicht auf das letzte Lebensdrittel barrierefrei und offen gestalten. Es handelt sich um eine typisch deutsche Wohnung mit schmalen, langen Gängen und vier teilweise sehr kleinen Zimmern. Durch den Umbau konnten eine großzügige Diele, ein barrierefreies Bad (das im Bedarfsfall durch die Herausnahme der Badewanne direkt mit dem Schlafzimmer verbunden werden kann) und Bewegungsfreiheit und Licht in der gesamten Wohnung realisiert werden.
Tätigkeiten für das Gewerk Tischlerarbeiten an diesem Umbau:
  • Austausch der Wohnungseingangstür in ein Modell mit geeigneter Ausstattung
  • Bodenlegearbeiten (Parkett) in neuer Diele und Wohnzimmer
  • Einbau einer Schiebetür zwischen Diele und Wohnzimmer
  • Einbau einer neuen Küche
  • Setzen von zwei neuen Innentüren
  • Aufdopplung von unterschiedlichen Bodenhöhen zur Erreichung einer Schwellenfreiheit in der gesamten Wohnung.
  • Auswechseln des Wohnzimmerfensters und der Terrassentür zur Erreichung eines schwellenfreien Durchgangs mit Absenken der Brüstung für einen freien Ausblick nach draußen in sitzender Position
  • zusätzliche Handläufe im Treppenhaus
Wie kommt man an Aufträge?
Die erste Voraussetzung dafür, sich diesen Markt zu erschließen, ist Wissen. Aber nicht nur Ableitungen aus den zur Verfügung stehenden DIN–Normen, sondern das Erkennen ganzheitlicher Zusammenhänge, sozialer und wohnpsychologischer Aspekte. Eine entsprechende Weiterbildung (Seminare, Workshops, Zertifizierung …) ist unerlässlich
Um die besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betriebes in der Region bekannt zu machen, kommen zum einen die örtlichen Medien (Anzeigen, PR, redaktionelle Berichte) in Frage, zum anderen empfiehlt sich die Kontaktaufnahme mit der Wohnberatungsstelle sowie den Senioren- und Behindertenbeauftragten des Landkreises. Hilfreich kann auch der Zusammenschluss mit anderen Gewerken (Rohbau, Elektro, Sanitär, Fliesen, Trockenbau …) zum Spezialistenteam für solche Umbauten sein.
Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Fakten des demografischen Wandels im Bewusstsein der Bevölkerung angekommen sind und die daraus resultierenden Veränderungen für das Bauen und Wohnen wahrgenommen werden. Hierauf wird auch der Marktplatz »Bauen im Bestand« aufmerksam machen, den der Bundesarbeitskreis Altbausanierung (BAKA) in Zusammenarbeit mit dem Institut Wohnen im Alter e.V. auf der Bau 2007 in München ausrichtet.
Joachim F. Giessler

Der Autor

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Joachim F. Giessler ist Innenarchitekt und beschäftigt sich seit Jahren in zahlreichen Projekten mit dem Thema Barrierefrei Bauen. Am Lehrinsitut der Holzwirtschaft in Rosenheim LHK gibt er Seminare für Schreiner zu diesem Thema (Infos: www.lhk.de). Giessler leitet u.a. das von ihm gegründete Institut »Wohnen im Alter e.V.« in Bad Tölz.
Kontakt: Institut Wohnen im Alter e.V. 83646 Bad Tölz, Tel.: (08041) 7927456 www.institut-wohnen-alter.de
Buchtipp:
J. F. Giessler: »Planen und Bauen für das Wohnen im Alter«, Blottner-Verlag, Taunusstein 2005, ISBN 3-89367-099-8. Zu beziehen über dds-medienservice, Tel.: (0711) 71924-560, Fax: -444, www.medienservice-holz.de
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