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Rund und schwer entflammbar

Technik
Rund und schwer entflammbar

Rund und schwer entflammbar
Design aus einem Guss und Brandschutz müssen sich nicht widersprechen: Moderne Holzwerkstoffe sowie mit lackiertem Blech belegte Spantenkonstruktionen machen es möglich
Brandschutzauflagen erschwerten die Konstruktion eines elliptischen Empfangstresens für eine Arztpraxis. Innenarchitekt Oliver Hess und die Tischlerei Kaether und Weise brachten Design und Sicherheit in Einklang.

Der Tresen mit bumerangförmigem Grundriss hat es in sich: Die gebogenen Fronten verlaufen entlang elliptischer Grundrisslinien. Die räumlichen Gegebenheiten in der orthopädischen Praxis schreiben die Brandschutzklasse B1 vor, – mit gebogenen Teilen eine Herausforderung, weil B1-taugliche Materialien in der Regel sehr spröde sind, sich nicht so stark biegen lassen und durch rückseitiges Schlitzen ihren B1-Status verlören. Außerdem sollten der Tresen und die restliche Praxiseinrichtung wie aus einem Guss gestaltet sein.

Die seit 1999 bestehende Orthopädische Gemeinschaftspraxis entschied sich für den Umzug in das vierte und fünfte Obergeschoss (insgesamt etwa 750 m2) eines mit dem Hildesheimer Bernwards Krankenhaus verbundenen Neubaus. Die Orthopäden beauftragten Innenarchitekt Oliver Hess vom Büro Formverbund in Hannover und die Tischlerei Kaether und Weise, eine ruhige, durchgehend gestaltete Atmosphäre zu schaffen. Die Tischlerei richtete bereits vor zehn Jahren die Orthopädiepraxis am alten Standort ein und kooperiert immer wieder mit dem Designbüro.
Ausbau vollständig in B1
Die besondere räumliche Nähe zum Krankenhaus, die Fluchtwegsituation und die daraus resultierenden Erfordernisse an den Brandschutz mündeten in einem umfangreichen Memo der Feuerwehr. Der Innenausbau von Fluren, die Empfangsbereiche, das Schreibbüro und alle Wartebereiche waren vollständig in B1 auszuführen. Das erforderte planerisches Fingerspitzengefühl und intensive Material-Recherchen. Zwischen der neuen Einrichtung der Arztzimmer und den in B1 zu fertigenden Möbeln und Einbauten sowie dem runden Empfangstresen sollte kein formaler Bruch entstehen. Außerdem war eine kostenbewusste Lösung gefragt.
Mit Thermopal war ein Hersteller gefunden, der nicht nur Dekore, Uni-Farbtöne und Oberflächenstrukturen in der gewünschten Ausführung für die Gestaltung der gesamten Praxiseinrichtung bot, sondern auch im Rahmen seines »DST«-Systems (Dekor, Struktur, Trägermaterial) nahezu alle Dekore mit allen Oberflächenstrukturen und Trägermaterialien kombinieren kann.
Die schnelle Bemusterung der mit den Bauherren diskutierten Farb-, Struktur- und Dekorvariationen, verbunden mit der Sicherheit, alles in allen Räumen umsetzten zu können, hat im Entwurfsprozess geholfen. Für die Korpusse und Einbaumöbel fiel die Materialwahl auf direktbeschichtete Spanplatte, MDF und Rohspanplatte. Die Fronten der Möbel wurden in B1-MDF mit den entsprechenden Lacksystemen (Diamantsiegel von Hesse Lignal, www.hesse-lignal.de) passend zum Rest der Praxis uni lackiert.
Aufwendige Materialrecherche
Der Empfangsbereich mit ellipsensegmentförmigem Podest und Tresen stellte sich als harte Nuss heraus. Materialrecherche für Fronten von Tresen und Aufsatz waren gefragt. Die verfügbaren Plattenwerkstoffe gibt es nicht, z. B. in Form einer B1-»Topan«-Platte. Das rückseitige Schlitzen einer B1-MDF brächte nicht nur durch den etwas spröderen Werkstoff Probleme mit sich, sondern das Bauteil verlöre hierdurch seine Zulassung. Durch die Schlitzung könnte im Brandfall ein Kamineffekt entstehen. Eine bauseits erstellte Trockenbaulösung mit einer flexiblen, aufgedoppelten 6-mm-Gipskartonplatte und einer malermäßigen Lackierung verwarfen die Beteiligten aufgrund der Kantenausführung und den schwierigen Übergängen zu den Korpusseiten. Außerdem zählte eine kurze Bauzeit vor Ort.
Die Firma Becker in Brakel bietet mit dem gemeinsam mit Bayer entwickelten »Incendur« genannten Material ein schwer entflammbares Formholz an. Leider war die notwendige Losgröße von 250 Stück mit zwei gleichen Ellipsenteilen des 4,5 m langen Tresens deutlich unterschritten. Ein Produkt, sicherlich interessant für serienmäßig zu fertigende Shop-in-Shop-Einrichtungen oder Servicepoint-Systeme in Bahnhöfen oder Flughäfen.
Auch das kalte Biegen einer B1-Vollkernplatte (HPL) wurde wegen der Anschlüsse und der zu erwartenden Materialspannung verworfen.
Spanten und Blech
Spantenkonstruktionen, belegt mit vom Schlosser angefertigten Blechen, sollten das Problem lösen. Die entlang eines Ellipsensegments gebogene Podestblende als Abschluss aus V2A-Blech wurde auf im Bereich der Kanten liegende Spanten der Unterkonstruktion aus B1-Streifen so geklebt, dass diese gleich das Abschlussprofil für den Textilbelag auf dem Podest bildet. Der Tresen selbst wurde konstruktiv aufgelöst in Seiten, Tresenplatten, Inneneinteilungen als Korpusteile und in eine dreiteilige Unterkonstruktion aus horizontalen und vertikalen Spanten. Belegt wurden diese mit vorgewalzten und mit aufrechten Stegen versehenen 1,5-mm-Blechen. Der Montagekleber stammt von Würth. Vorgrundiert waren die Bleche perfekt vorbereitet für die Lackierung, die Unterkante entsprechend für die Aufnahme der indirekten Beleuchtung vorgesehen.
Die Spanten der Unterkonstruktion waren zur Treseninnenseite gerade segmentiert ausgeführt, sodass die doppelte Rückwand aus geraden Zuschnitten erfolgen konnte und IT-Kabel gegebenenfalls unsichtbar verzogen werden konnten. So ergab sich eine hohe Stabilität mit optimaler Raumausnutzung. Ähnlich die Konstruktion und Ausführung des mit einer Vielzahl von Einteilungen und Fächern versehenen Tresenaufsatzes: Hier wurde auch für die Belegung mit Mineralwerkstoff in B1 von LG (www.lgchem.com) eine Unterkonstruktion aus Spanten gebaut. Das kupferfarben lackierte Blech ist wie die Tresenfront auf eine Unterkonstruktion aufgeklebt. Außerdem ist sie in den Korpus und das Blatt eingenutet.
Das Innenleben, Auszugscontainer, Fächer und die Treseneinzelteile wurden nach dem Probezusammenbau in der Werkstatt wieder zerlegt, lackiert und vor Ort eingebaut.
Brandschutz heute und morgen
Brandschutz lässt sich fast ohne funktionale oder gestalterische Einschränkungen realisieren. Einige Hersteller suchen hartnäckig nach schwer entflammbaren Lösungen. Im Thermopal-Programm gibt es mittlerweile sogar eine nichtbrennbare mineralische Platte. Sie bietet Planern und Innenausbauern durch die Kombination der Klassifizierung »nichtbrennbar« mit einer großen Dekorauswahl neues gestalterisches Potenzial.
Eine Neuentwicklung von Richter (www.richter-furniertechnik.de), die Innenausbaumaterialien durch den Einsatz eines patentierten, flammhemmenden Klebers zu schwerentflammbaren Bauteilen zu verbinden, ist eine davon. Hier sind die verschiedensten Materialkombinationen in den einschlägigen Prüfverfahren für die Anwendungen Schiffbau, Flugzeugbau und Innenausbau. Die Zwischenergebnisse sehen vielversprechend aus.
Ein weiterer Innovationsschub für den Bau von anspruchsvollem Innenausbau in Bereichen mit erhöhten Anforderungen des Brandschutzes ist zu erwarten.
Oliver Hess

Service Kontakt zu den Beteiligten
Bauherr: Otos Praxisklinik, 31134 Hildesheim, www.otospraxisklinik.de
Innenausbau: Möbelbau Kaether & Weise GmbH, 31195 Lamspringe Tel.: (05183) 677, Fax: 2766 www.kaetherundweise.de
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