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Wo man gerne arbeitet

Führungskultur im Handwerk
Wo man gerne arbeitet

Was haben Führungskultur und Betriebsklima mit Fachkräftemangel im Handwerk zu tun? Eine ganze Menge, sagen Günther Zaffoni und Jürgen Huber. Die Inhaber von Schreinereiwelt.de in Stuttgart haben kein Problem, gute Mitarbeiter zu finden. dds-Autor Ingo Lau haben sie erzählt, warum.

Ingo Lau, Stuttgart

Was Führungskultur und Hierarchiedenken angeht, geht es in vielen Schreiner- und Tischlerbetrieben zu wie eh und je. Im Grunde wird dort die alte Hackordnung gelebt: erst der Chef, dann der Meister, danach kommt lange nichts, dann die Gesellen und ganz am Ende der Auszubildende.

Solche tradierten Hierarchien können heute fatale Folgen für ein Unternehmen haben, davon sind Günther Zaffoni und Jürgen Huber überzeugt. Die beiden Schreiner haben 2013 gemeinsam das Unternehmen Schreinereiwelt.de gegründet. Der Schritt in die Selbstständigkeit war nicht die Erfüllung eines lange gehegten Traums, sondern in erster Linie die Konsequenz aus dem Frust mit ihrem ehemaligen Chef.

Aus Frust in die Selbstständigkeit

Huber war in einer Stuttgarter Schreinerei angestellt und gehörte dort zu den leitenden Angestellten im Bereich der Montage und bei der Auftragsakquise. Zaffoni führte seine Schreinerlaufbahn in denselben Betrieb. Er war dort zunächst Geselle, dann verließ er die Schreinerei wieder und ging auf die Meisterschule. Ihre Berufswege trennten sich, bis Huber ihn motivierte, als Meister in den alten Betrieb zurückzukehren. So wurden die beiden wieder zu Kollegen, hatten ein gemeinsames Büro und teilten Freud und Leid ihres Berufslebens miteinander.

»Jeder ist ersetzbar«

Leider waren es bald immer öfter negative Erfahrungen, über die sie sich austauschten. Zaffoni, zuständig für Auftragsplanung und Buchhaltung, wurde vom Chef regelmäßig wegen Kleinigkeiten kritisiert und für Huber war die Weiterentwicklung seines Gehalts nicht zufriedenstellend. Er war jetzt Mitte 40 und hatte Familie. Obwohl er im Betrieb zu den Leistungsträgern gehörte, verdiente er kaum mehr als der Geselle, der vor einem Jahr in der Schreinerei angefangen hatte. Sein Konto war am Monatsende regelmäßig in den roten Zahlen.

Beide suchten das Gespräch mit ihrem Chef. Zaffoni wollte nicht länger das Opfer sein, an dem man seine schlechte Laune auslässt, Huber bat um eine moderate Gehaltserhöhung. Beiden gab der Chef klar zu verstehen, dass jeder Mitarbeiter ersetzbar ist. Zu dem Zeitpunkt hatte Huber bereits sein halbes Berufsleben, 21 Jahre, für den Betrieb gearbeitet.

Bei Schreinereiwelt.de ist Sparen auf Kosten der Mitarbeiter keine Option. Gespart wird an anderer Stelle, z. B. bei den Maschinen: Die Plattensäge von Striebig, die Breitbandschleifmaschine von Kündig, das Dreiachs-BAZ von Weeke, die Formatkreissäge und auch die Furnierpresse sind durchweg nicht neu, sondern gut gepflegte Gebrauchte. Das Secondhand-Prinzip gilt auch beim Fuhrpark. Es werden keine Neufahrzeuge angeschafft und die Innenausstattung der Büros wurde zum großen Teil aus einem zum Abriss vorgesehenen Kinderkrankenhaus ausgebaut.

Secondhand reicht auch

Seit sechs Jahren sind die beiden ehemaligen Schreinerkollegen nun selber Chefs. Allüren haben sie bis heute keine, auch wenn ihr Laden mittlerweile richtig brummt. Bei Schreinereiwelt.de arbeiten in der Werkstatt und auf Montage mittlerweile 15 Menschen, darunter vier Auszubildende. Man bekommt Anfragen und Aufträge aus ganz Deutschland, beispielsweise aus München und Berlin, wo ebenfalls bereits gearbeitet wurde. »Das ist natürlich eine tolle Bestätigung«, sagt Günther Zaffoni. Das Wichtigste sei aber, dass er und seine Mitarbeiter jeden Tag an einem Ort arbeiten dürften, an dem man sich wohlfühle. Und Huber, der fast immer ein Lächeln im Gesicht trägt, fügt hinzu: »Zu Hause richtet man sich ja auch gemütlich ein und schafft sich mit der Familie die eigene Wohlfühloase.«

Billardtisch, Flipper und Tischkicker

Was damit gemeint ist, entdeckt man im Obergeschoss. Über der Werkstatt, dort wo sonst Showrooms oder Chefbüros thronen, gibt es eine Essküche, in der die Mitarbeiter ihr Vesper oder Mittagessen einnehmen können. Außerdem einen Entspannungsraum mit Billardtisch, Flipper und Tischkicker. An schönen Tagen wird auch mal das Rolltor hochgefahren und der Weber-Grill rausgestellt. Dann sitzen die Chefs und die Mitarbeiter in der Sonne und bruzzeln gemeinsam.

Und damit nicht genug: Im letzten Herbst haben Huber und Zaffoni die komplette Belegschaft inklusive Azubi zu einer viertägigen Flugreise auf die Insel Kos eingeladen. »Das war unser erster gemeinsamer Betriebsausflug nach sechs Jahren«, sagt Zaffoni. Dabei geht es nicht nur um das Prinzip Leistung und Gegenleistung. Huber: »Wir wollen den Teamgedanken fördern, wollen, dass sich die Mitarbeiter gegenseitig kennen und schätzen lernen.« Eine Investition ins Betriebsklima also.

Der Betrieb als zweite Familie

Dass der Umgang miteinander bei Schreinereiwelt.de familiärer ist als in anderen Betrieben, hat sich im Umkreis von Stuttgart schnell herumgesprochen. »Wir kennen hier keinen Fachkräftemangel«, sagt Jürgen Huber. »Die Leute kommen zu uns und fragen, ob sie bei uns anfangen können.« Fluktuation unter den Mitarbeitern gibt es so gut wie gar nicht. Die Leistungsbereitschaft in der Belegschaft ist hoch und ebenso die Eigenverantwortung.

Letztere wird in Zuffenhausen u. a. dadurch gestärkt, dass die Mitarbeiter nicht wegen jeder Kleinigkeit bei den Inhabern um Erlaubnis fragen müssen. Wer privat mal für eine Stunde weg muss, informiert die anderen oder legt im Büro einen Zettel auf den Tisch. Das reicht, und die Chefs vertrauen darauf, dass die Zeit vom Mitarbeiter wieder reingeholt wird.

Das funktioniert, auch an diesem Freitagnachmittag. Es ist zwischen 17 und 18 Uhr und in der Werkstatt von Schreinereiwelt.de sind immer noch zwei bis drei Mitarbeiter bei der Arbeit. Die nicht mehr jungen Jungunternehmer freut’s und die Angestellten sind wie selbstverständlich dazu bereit.


Steckbrief

Betrieb: Schreinereiwelt.de,

70435 Stuttgart-Zuffenhausen,

www.schreinereiwelt.de

Tätigkeitsspektrum: Möbel, Innenausbau, Fenster, Türen, Fußböden

Mitarbeiter: 15, davon vier Azubis


Günther Zaffoni,Schreinereiwelt.de

»Das Wichtigste ist, an einem Ort zu arbeiten, an dem man sich wohlfühlt.«


Jürgen Huber, Schreinereiwelt.de

»Wir kennen hier keinen Fachkräftemangel.«

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