Gesundheitsbedingt hatte der heute 57-Jährige seinen ursprünglichen Beruf als stellvertretender Laborleiter in Bonn aufgeben müssen und sich wieder seinem Jugendtraum zugewandt, dem Arbeiten mit Holz. Mit der Meisterprüfung machte er sich in einer Werkstattgemeinschaft mit zwei weiteren Tischlern in Bergisch-Gladbach selbstständig und fertigte vor allem Möbel und Küchen. Das lief zunächst durchaus gut. Später jedoch »gab es hier fast an jeder Ecke ein Küchenstudio und viele Kunden wollten von mir nur einen Entwurf, auf dessen Basis sie dann woanders bestellten«, erinnert sich Wirges. In dieser Phase fragte ihn eine Bekannte mit Blick auf Weihnachten, ob er für ihre Kinder nicht Bauklötze machen könne. Michael Wirges erfüllte den Wunsch, nicht ohne »Spaß an der Freud« und merkte schnell, dass sich hier eine Marktchance für ihn auftat. Nebenher und zunächst auf kleiner Flamme widmete er sich also weiterhin dem Spielzeug. Über den selbst erstellten Webshop www.tischlerschuppen.de verkaufte er es von Neunkirchen-Seelscheid im Kölner Umland aus. Seine Frau hat diesen Namen als Domain vorgeschlagen – mit Blick auf Astrid Lindgrens Michel aus Lönneberga, den der Vater wegen seiner Streiche immer zur Strafe in einen Schuppen schickte, wo er Holzmännchen schnitzte. Der Domainname zog ganz offensichtlich.
Webshop in mehreren Sprachen
Von Anfang an sorgte Michael Wirges für eine optimale Platzierung bei Google. Diese Mühen und die Investitionen bei Google-Adwords zahlten sich aus, indem sich der Kundenkreis deutlich über das Rheinland hinaus erweiterte. Dazu trug nicht zuletzt bei, dass die Produktpalette immer weiter ausgebaut wurde. Ein zweiter und ein dritter Webshop für Deutschland kamen hinzu, danach andere in Nachbarländern. »2011/2012 war ich schließlich gezwungen, mich zwischen Küchen und Bauklötzen zu entscheiden. Beides zusammen war zu stressig geworden und auch meine Familie spielte nicht länger mit.« Wirges setzte voll auf die Holzbausteine – ein Entschluss, der sich auszahlen sollte. Schon drei Jahre später zog der Betrieb in eine größere Halle um. Diese musste inzwischen ein weiteres Mal vergrößert werden.
Das »Spiel gut«-Siegel hilft
Schwung hat die Nachfrage nach den Bausteinen sicherlich auch dadurch erhalten, dass sie das auffällig orange Gütesiegel »Spiel gut« als geprüftes und empfehlenswertes Spielzeug tragen sowie CE-konform sind. Beides hat sich als großes Plus für das Marketing erwiesen. Gelobt werde von den Kunden zudem die absolute Präzision und Gleichmäßigkeit der einzelnen Teile. Da werde selbst der im Vergleich zu Massenanbietern und Discounter-Ware höhere Preis für die Klötze akzeptiert.
Aktuell sind im Tischlerschuppen neben Wirges, seiner Frau und seiner Tochter zwei Mitarbeiter tätig. Die als Spielzeug konzipierten Klötze aus heimischem Buchenholz in unbehandelter Ausführung und verschiedenfarbig lackiert werden in allen möglichen Formen und Größen angeboten, als Würfel, Quader, als Säulen, Tetra- oder Oktaeder und als Kugeln, als Brückenbauteil und als Teile, um verschiedene Fahrzeuge zu bauen.
Hinzu kamen Versionen, die von Firmen zu Werbezwecken bestellt werden (»haptische Verkaufshilfen«), sowie solche, die man in Kindergärten oder Schulen als Lernmittel einsetzen kann, um zum Beispiel geometrische Konstruktionen kindgerecht vor Augen zu führen. Heute listen die Webshops, von denen es im Übrigen nun fünf außerhalb Deutschlands gibt, nicht weniger als rund 700 Produkte auf. Auch Facebook und YouTube werden als Kanäle intensiv genutzt, um in kleinen Filmsequenzen auf diese Fülle und die damit verbundenen Möglichkeiten aufmerksam zu machen. Teilweise erreichen diese Videos fünfstellige Klickzahlen.
Wenig Retouren beim Onlineverkauf
Das Unternehmen hat Serverplatz in Frankfurt, London, Paris, Amsterdam und in Graz, um die Webpräsenz sicherzustellen, sowie eine zentrale Fakturierung, um die Abwicklung der Bestellungen zu erleichtern. Das Wirges-Team kennt sich inzwischen in allen Fragen des Versands auch über die deutschen Grenzen hinaus aus sowie über die rechtlichen Besonderheiten des Onlinehandels. Immerhin mache aber kaum ein Besteller aus Unzufriedenheit von seinem ausgeweiteten Rückgaberecht Gebrauch.
»Um das Tag für Tag zu schaffen, waren hohe Investitionen nötig«, unterstreicht Michael Wirges. Er hat eine kleine CNC-Maschine, nutzt inzwischen den dritten Laser vor allem zum Gravieren, hat einen sehr leistungsfähigen Digitaldrucker zum Beschriften der Werbemittel und ein professionelles Fotostudio, in dem er die Bilder für die Webshops macht. „Die müssen absolut top sein«. Hinzu kommt eine Anlage, um aus den Holzresten Briketts zu pressen, die teils verkauft, teils betriebsintern verfeuert werden.
Und dann kam Corona …
Alles lief geschäftlich gut und gab zu großen Hoffnungen Anlass, bis Ende 2019 bei einem Einbruch in die Produktionshalle teure elektronische Geräte und vor allem der gesamte neue Foto-Datenbestand gestohlen wurden – und bis im Frühjahr Corona kam: Die Auftragslage verschlechterte sich auch für den Tischlerschuppen quasi über Nacht. Für die Mitarbeiter wurde zunächst Kurzarbeit erforderlich.
Als der erste Schock überwunden war, besann sich Wirges über die Osterfeiertage hinweg darauf, dass er ja einen leistungsfähigen Laser und die notwendigen Programmierkenntnisse hat, um die gerade dringend gebrauchten Schutzschilde und Spuckschutzwände aus Acrylglas und PET anzufertigen. Wie die Visiere und die dazugehörigen Rahmen im Detail aussehen sollten, recherchierte er im Internet und optimierte diese durch eigenes Tüfteln. Die Beschaffung des Materials erwies sich in Folge der plötzlich extremen Nachfrage mehrmals als schwierig. Aber auch dieses Problem hat der Tischlerschuppen bewältigt. Im Unterschied zu vielen anderen spontanen Anbietern von solchen Schutzausrüstungen legte Wirges Wert darauf, dass sein Produkt offiziell zertifiziert werden sollte. Daher trägt es den Hinweis auf die EU-Verordnung 2016/425 als Beleg, dass die Schilde unabhängig geprüft und als Persönliche Schutzausrüstung (PSA) gegen Covid 19 anerkannt worden sind.
Vom Klotz zur Maske und zurück
Um diese beiden neuen Erzeugnisse schnell bekannt zu machen, wurde in den Webshops darauf hingewiesen und ein Erklärvideo fertiggestellt, wie Rahmen und Schild zusammengesetzt werden müssen.
Zwischen Mitte April und Anfang Mai liefen Bestellungen für zusammen 3000 Visiere ein und auch die Schutzwände fanden guten Absatz. »Das hat uns einigermaßen über die Corona-bedingte Flaute bei den Bauklötzen hinweggeholfen. Trotzdem hätten wir natürlich gerne auf dieses Geschäftsfeld und damit die gesamte Pandemie verzichtet«, stellt Michael Wirges klar. Ein positiver Aspekt der Visierproduktion sei allerdings, dass er mit deren Käufern einige zusätzliche Interessentengruppen für die Bauklötze erschlossen habe. Vor allem denkt der 57-Jährige dabei an Menschen aus dem sozialen und therapeutischen Bereich. Ihnen sind die transparenten Visiere wichtig, damit – im Gegensatz zu Masken aus Stoff – ihre Klienten ihr Gesicht mit ihrer Mimik sehen.
Sie hätten dann unter www.tischlerschuppen.de jedoch auch gut nutzbares Material für ihre psychologischen Gespräche und Sitzungen gesehen, zum Beispiel um Familienkonstellationen und Gesprächssituationen zu verdeutlichen. Auch im Schlechten steckt oft eben doch unverhofft noch etwas Gutes …
Steckbrief
Konzept: Spezialisierung auf Bauklötze in allen Variationen und Ausführungen für Kitas, Schulen usw.
Vertrieb: Online über diverse Webshops in mehreren Sprachen
Betrieb: Tischlerschuppen.de, Tischlermeister Michael Wirges, 53819 Neunkirchen-Seelscheid
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