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Zurück an der Hobelbank

Untenrehmensnachfolge
Zurück an der Hobelbank

Seit Otto Lohbihler den Betrieb an seinen ehemaligen Azubi Andreas Saal übergeben hat, arbeitet er 25 Stunden pro Woche in der Werkstatt mit. Protokoll einer gelungenen Unternehmensnachfolge von dds-Autor Klaus Mergel.

Klaus Mergel, Epfach

Manchmal überwindet Freude an der Arbeit alle Widerstände. Otto Lohbihler erinnert sich noch gut an den Tag, als Andreas Saals Mutter vor 15 Jahren in seine Werkstatt kam. Und fragte, ob er nicht eine Lehrstelle für den Buben hätte. »Obwohl er eigentlich Landwirt werden wollte«, sagt der 61-Jährige schmunzelnd. Saal fällt dazu gleich ein: »In die Schule wollte ich damals nie wieder gehen.« Umso überraschender, als er dem Chef 2014 mitteilt, dass er auf die Meisterschule will. Lohbihlers Frage: »Und dann übernimmst du den Betrieb hier?« Die spontane Antwort: »Ja«. So kam es tatsächlich: Im Januar 2018 übergibt er den Betrieb an den heute 30-Jährigen. Aus der Schreinerei Lohbihler im bayerischen Bad Bayersoien wird die Schreinerei Saal.

Ein Glücksfall. Lohbihler fand mit Saal einen Nachfolger, den er in 15 Jahren als Mitarbeiter schätzen lernte. »Die Zusammenarbeit mit Andi war immer harmonisch«, sagt er. Und Saal bekam mit Lohbihler einen verlässlichen Mitarbeiter und Ratgeber. »Otto hält mir den Rücken frei«, sagt er.

Der Sechs-Mann-Betrieb läuft wie gehabt: Die Kundschaft kommt aus der 1200-Einwohner-Gemeinde Bad Bayersoien und Umgebung. Zu 90 Prozent arbeitet man mit Massivholz, 70 Prozent machen Fenster- und Türenbau aus. Die Herstellung von Kastenfenstern für die Denkmalpflege ist ein Alleinstellungsmerkmal. Und Saal hat mit einem Holzhaushersteller einen Partner mitgebracht, für den er Innenausbauten übernimmt.

»Einen Nachfolger unter Mitarbeitern oder ehemaligen Mitarbeitern zu suchen, ist die einfachste Möglichkeit«, sagt Dennis Schäuble, betriebswirtschaftlicher Berater bei der Handwerkskammer Konstanz. »Da kann man jemanden finden, den man gut kennengelernt hat.« Schäuble berät Betriebe bei Übergaben und Übernahmen. Allein im Bereich seiner Kammer suchen derzeit 3000 Handwerker nach einem Nachfolger. Und über 180 000 Handwerksbetriebe in Deutschland sind betroffen, so eine Umfrage des Zentralverbands des deutschen Handwerks (ZDH) von 2015*. Danach stellt für 26,8 Prozent die Suche selbst die größte Hürde dar. Laut ZDH droht mit dem Unternehmermangel »der Verlust von Know-how, Wertschöpfung und nicht zuletzt von Ausbildungs- und Arbeitskräften«.

Wie kam es dazu? Hier spielt die Demografie eine Rolle: Früher hatten die Leute mehr Kinder – die Chancen waren höher, dass einer der Söhne oder Schwiegersöhne den Betrieb übernimmt. »Die Babyboomer gehen jetzt in Rente«, sagt Schäuble. Zudem galt eine eigene Schreinerei als sichere Einkommensquelle, als Stolz der Familie. »Wir haben heute einen anderen Arbeitnehmermarkt«, so Schäuble. Viele Handwerker verdienten gutes Geld als Angestellte: »Sie bilden sich weiter, erlangen den Meistertitel, aber möchten nicht gleich an die vorderste Front.« »Selbst und ständig« – nicht selten schreckt das manchen, der das Zeug zum Inhaber hätte.

Eine Verantwortung, die Schreinermeister Lohbihler gut kennt. Er hat eine Tochter – doch die verfolgte andere Berufspläne. Selbst ein Schreiner als Schwiegersohn wäre gar nicht sein größter Wunsch gewesen. »Ich bin froh, dass das nicht familiär gelöst wurde. Sonst müsste ich mich bis ins hohe Alter um alles kümmern«, sagt er. Der Bayer hatte schon länger vor, ab 60 kürzer zu treten und mit 65 aufzuhören. Fünf Jahre vor der Übergabe begann er, sich Gedanken um die Nachfolge zu machen. »Genau richtig«, findet Berater Schäuble. Seit einigen Jahren stellt er fest, dass Inhaber heute früher aktiv werden. »Es ist im Bewusstsein angelangt, dass der Prozess sich über Jahre hinziehen kann.«

Bei der Suche nach dem Nachfolger gehen jedoch viele nur anonym vor. Zu groß ist die falsche Scham, dass geredet wird in der Branche. Und die Angst, dass das Geschäft leidet. Hier verweist Berater Schäuble auf Betriebsbörsen, in denen per Chiffre gesucht werden kann: regional über die Handwerkskammern oder überregional über die KfW. »Ich rate jedoch von einer völlig verschleierten Suche ab. Sonst melden sich nur wenige oder kaum geeignete Kandidaten.« Eckdaten wie Betriebsgröße, Mitarbeiterzahl, Arbeitsfeld und Spezialisierung sind also wichtig. »Dann weiß ein Bewerber, worauf er sich einlässt.«

Ein guter Kandidat muss einiges mitbringen: Meistertitel, Erfahrung, kaufmännischen Hintergrund und eventuell eine Ehefrau, die ihn unterstützt. Und den festen Willen zur Selbstständigkeit. Schäuble: »Er sollte sich der Hochs und Tiefs völlig bewusst sein.«

Haben sich zwei Partner gefunden, wird der Wert des Betriebs bestimmt. Ein sensibles Thema, wo Erwartungen aufeinanderprallen können. Denn den Wert macht nicht nur erwirtschafteter Gewinn aus, sondern auch der Markenwert: Hat der Name überregional Klang? Bietet die Firma Spezialisten-Knowhow? Existiert ein treuer Kundenstamm?

Im Handwerk ist eine Bewertung nach dem AWH-Verfahren (Arbeitskreis der wertermittelnden Berater im Handwerk) üblich. Dabei werden die letzten vier Jahresabschlüsse mit unterschiedlicher Wertung überprüft. Als weiche Faktoren werden per Fragebogen verschiedene Themen erfasst: die eventuelle Werkstattmiete, das Einkommen der Ehefrau im Betrieb, Kunden-, Banken- und Lieferantenbeziehungen. Auch Mitarbeiterzahl, ihr Alter und die Lage im Ort sind wichtig. Am Ende erhalten beide Parteien einen fairen Wert, mit dem sie rechnen können.

Was ist der Betrieb wert?

Viele Übergabewillige haben keine Vorstellung vom Wert ihres Betriebes. Schäuble erlebte schon, dass ein Inhaberwechsel an überhöhten Vorstellungen scheiterte. Er empfiehlt: »Nicht vergessen, dass derzeit ein Überangebot an Betrieben besteht.« Wichtig sei für beide Seiten, mit offenen Karten zu spielen und sich nicht auf einen Ausgang zu versteifen: »Vorstellungen ja, aber flexibel bleiben.« Und manche Themen solle man einfach vertraglich regeln.

Ganz klar: Ein wichtiger Ansprechpartner ist auch der Steuerberater. Denn das Finanzamt sitzt bei einer Übergabe mit am Tisch. Es gibt verschiedene Modelle bei der Versteuerung – und für den Nachfolger diverse Fördermöglichkeiten.

Lohbihler und Saal nützten die Jahresinventur, um den Bestand zu erfassen. Saal übernahm zum Jahreswechsel 2017/2018 alles, »von der Schraube bis zur Hobelmaschine«, so Lohbihler. Nicht aber das Werkstattgebäude: Das überführte der Altchef ins Privatvermögen. Dafür musste er zwar einiges ans Finanzamt bezahlen – doch die Immobilie dient ihm als zusätzliche Altersversorgung. Nachfolger Saal hat die Werkstatt gemietet: »So muss ich nicht gleich einen Riesenkredit für eine neue Halle aufnehmen«.

Nach 130 Jahren gibt es die Schreinerei Lochbihler also nicht mehr. »Ich hatte schon ein Jahr daran zu knabbern«, sagt Otto Lohbihler. Er selbst hatte den Betrieb 1988 als vierte Generation übernommen – hundert Jahre nach der Gründung. »Die emotionale Bindung kann Probleme bereiten«, weiß Schäuble. Es könne behilflich sein, wenn der Name bleibt. Andreas Saal entscheidet sich dagegen: Er hätte sich als »eingetragener Kaufmann« ins Handelsregister eintragen lassen müssen – was eventuell zu Haftungsproblemen führen kann. Sein früherer Chef nimmt es inzwischen leicht: »Man muss loslassen können.«

Und den Schreiner Lohbihler gibt es ja weiterhin. 25 Stunden arbeitet er in Saals Werkstatt – was für beide Seiten Vorteile hat. »Ich kann mich handwerklich noch einbringen: So oft wie heute stand ich seit 30 Jahren nicht mehr an der Hobelbank«, sagt Lohbihler. Gleichzeitig hält er alte Stammkunden bei der Stange. »Da rufen viele an und sagen, sie wollen gern zum Otto«, sagt Saal. Auch die Azubis betreut der einstige Chef: »So kann ich mein Wissen weitergeben. Und der Andi hat Zeit, um das Chefsein zu lernen.«


* Der ZDH hat in Zusammenarbeit mit 40 Handwerkskammern 9234 Betriebe in Deutschland befragt


10 Tipps für eine erfolgreiche Betriebsübergabe im Handwerk

von Dennis Schäuble, HWK Konstanz

1. Rechtzeitig aktiv werden: Schon fünf Jahre vor dem angestrebten Termin sollte man den Übergabeprozess planen

2. Dem Nachfolger keinen Investitionsstau hinterlassen – das schreckt Bewerber ab

3. Nicht zu anonym agieren: Ein geeigneter Kandidat sollte schon über wichtige Eckdaten Bescheid wissen

4. Unabhängigen Berater zur Wertermittlung konsultieren. Im standardisierten AWH-Verfahren wird der Betriebswert ermittelt

5. Übergeber sollten beachten: Reicht die Altersversorgung? Nachfolger dagegen: Ist es finanzierbar? Passt es zur Lebensplanung und macht die Familie mit?

6. Offen und ehrlich miteinander umgehen: Mit verdeckten Karten zu spielen, rächt sich später.

7. Rechte und Pflichten vertraglich regeln: Die Stimmung kann kippen, wenn das Geschäft einbricht

8. Einen geeigneten Steuerberater einbeziehen: Auch wer seit Jahren die Buchhaltung gut macht, muss sich nicht mit Steuermodellen und Fördermöglichkeiten auskennen

9. Im Krisenfall Mediator einschalten. Er kann mit seiner unabhängigen Sichtweise weiterhelfen

10. Ein gutes Verhältnis zum Vorgänger pflegen: Er kann Erfahrung und Beziehungen mit einbringen

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