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Wie Schreiner wohnen

Gestaltung
Wie Schreiner wohnen

Der Berliner Tischler Christian Lilge baut nicht nur ungewöhnliche Möbel für seine Kunden (vgl. dds 8/2004, Seite 77), er lebt auch eigensinnig auf einem Wohnschiff, das er sukzessive von Grund auf restauriert. Er verwirklicht sich damit einen Traum. Wir haben ihn im November 2007 an Bord besucht.

Mit unserem Fotografen wanke ich bei windigem Herbstwetter über den rutschigen Steg an Bord. Wir klettern durch die kleine blaue Rahmentür ins Schiff und stehen mitten auf der Baustelle. Keine Frage, dieser Kollege liebt die Herausforderung, sonst mutet man sich so ein Projekt nicht zu. Die Müritz wurde 1963 in der DDR zum Lehrschiff umgebaut. Vor dem Verkauf diente das Schiff auch als Wohnprojekt für ehemalige Drogenkranke, die hier in einem anderen Umfeld einen Neustart wagten. Solche Details gefallen Christian Lilge. Es ist schön, wenn Objekte Geschichte haben.

Das Wohnzimmer, ein Schlafzimmer und die Küche sind bereits ausgebaut. Im Schlafzimmer steht ein Schrank aus Sperrholz beplankten Rahmen. Vorbild ist ein Mannschaftsdoppelschrank aus dem ersten Weltkrieg, der in Sekunden zerlegbar ist. Christian Lilge kann sich für solche Konstruktionen begeistern. Sie sind sinnvoll, und ästhetisch gibt es nichts auszusetzen. Man kann an Bord vieles finden, was noch nicht fertig ist. Doch gerade diese Baustellensituation schärft den Blick für das, was bereits geschafft wurde, und man bekommt eine Vorstellung davon, wie es mal sein wird, wenn alles fertig ist. Hell genug ist es schon: Eine 5 m2 große Kuppel holt Tageslicht in die 40 m2 Wohnküche.
Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man meinen, man sei in einem Loft. Doch dann schaukelt das Schiff ganz leicht, wenn ein Schieber vorbei fährt und einen Kohlenkahn in den Westhafen bringt. Die Eigenleistung an dem Projekt ist immens, auch haben viele Freunde in schweren Phasen mit angepackt. »Aus dem ganzen Schiff sind zehn Tonnen Estrich und Stahl heraus gekommen. Vom Hauptstahlboden mussten 37 m2 in der Werft ausgetauscht werden. Wenn ich eine freie Minute in der Werkstatt habe, bin ich hier … Als ich gegen die erste Fliese geschlagen habe, ist das ganze Bad umgekippt. Da waren riesige Pilze hinter der Wand. Ich habe einen großen Hammer genommen und alles entkernt.« Christian Lilge legt Wert auf Nachhaltigkeit. Das Ständerwerk ist beidseitig mit Rauspund verschalt und von innen zusätzlich mit Hartfaserplatte beplankt. Genauso wird es auch wieder in Stand gesetzt, allerdings mit einer Dämmung und OSB-Platten unter der hinterlüfteten Fassade. Das Ziel ist eine behutsame Modernisierung.
Leben auf dem Wasser
Die Idee mit dem Schiff ist eine alte Liebe. Direkt gesucht hat Christian Lilge nicht. Auf die Müritz ist er nur durch Zufall gestoßen. Eigentlich wollte er sich die Rostock ansehen, doch die war bereits verkauft – die Müritz mit ihrem Charme lag daneben und war zu haben. »Als ich das Boot angesehen habe, war es umgeben von alten Schrott-Kähnen, hier lag überall Schrott, das fand ich klasse.« Der Besitzer der Müritz hatte sich ein Haus im Wedding gekauft und brauchte einen Tischler, so kamen beide ins Geschäft. »Als ich in der Zillestraße das letzte Objekt runter getragen habe, war ich da weg mit Leib und Seele. Ich bin jetzt zuhause, wo das Boot liegt. Das Licht auf dem Wasser ist besonders: als ob dein Haus auf einem Spiegel steht und überall reflektiert sich das Licht. Man entwickelt einen zweiten Sinn. Ich höre inzwischen, ob da eine Ente am Rumpf schnattert oder ein Schwan.«
Auf dem Wasser zahlt man keine Miete, aber eine Pacht an das Wasserschifffahrtsamt in Kiel. Auf einem Hausboot zu wohnen, hat nichts mit Aussteigen zu tun. Die Werkstatt auch aufs Wasser zu verlegen, war ein reizvoller Gedanke, der sich aber nicht realistisch umsetzen lässt. Christian Lilge schätzt die Abgeschiedenheit, aber er ist kein Eremit. Auf die Dauer möchte er Bed & Breakfast für Gäste anbieten. Platz ist genug da, auf dem ehemaligen Schulschiff haben zu DDR-Zeiten 14 Lehrlinge gewohnt. An Gastfreundschaft mangelt es auch nicht, das haben wir bereits vor drei Jahren in der Zillestraße erlebt! Nach anregenden Gesprächen, selbst gemachten Nudeln und hervorragendem griechischem Wein geht es wieder auf den wankenden Steg, den ich schon fast vergessen hatte. JN
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