In Italien setzte die Industrialisierung später ein als im Rest von Europa – Impulse aus dem für Europa so wichtigen Bauhaus gewannen dort erst nach dem Zweiten Weltkrieg an Bedeutung. Zur gleichen Zeit wurde in Ulm mit der Gründung der Hochschule für Gestaltung eine Nachfolge des Bauhauses angetreten, die das funktionale Design in Deutschland verankerte und stilprägend werden ließ. Italienische Gestalter waren vergleichsweise freier, experimentierfreudiger und unzählige kleine Handwerksbetriebe Meister der Improvisation und auch der Innovation. Das führte zu einer unvergleichbaren Designkultur, von der viele heute noch profitieren: Italien steht für Handwerk und Innovation, sicherlich Werte, die wir mit unseren Nachbarn gerne teilen, die in beiden Ländern jedoch eine ganz unterschiedliche Prägung haben. Als die Möbelbranche begann, ins Ausland zu expandieren, konzentrierten sich die Italiener auf das eigene Land. Ehemals kleine Handwerksbetriebe entwickelte sich zu bedeutenden Manufakturen, zum Beispiel Billiani oder Minotti und viele andere. Eine italienische Stadt, die nicht nur in der internationalen Mode Bedeutung hat, sondern sich seit 1961 auch fest im Bewusstsein der Möbler verankert hat, ist Mailand: Die Salone del Mobile findet jährlich statt, sie ist bis heute die größte Messe ihrer Art und nimmt aktuell eine Fläche von fast 230 000 m2 am Rande der Stadt ein. Sie umfasst rund 2 500 Unternehmen sowie 700 junge Designer, die auf dem Salone Satellite ausstellen – eine der wichtigsten Veranstaltungen für junge Gestalter aus der ganzen Welt und damit auch impulsgebend für die internationale Möbelindustrie. Ursprünglich hatte man die Messe ins Leben gerufen, um ausschließlich das italienische Design zu fördern. Ein Ziel, das bei der Platzvergabe für Messestände offensichtlich noch immer nachwirkt, was viele internationale Firmen zu spüren bekommen. Trotz der bekannten Hürden und der eigenen weltweit bekannten Möbelmesse nutzen dennoch auch viele deutsche Firmen Mailand als die Plattform, um Neuheiten vorzustellen. In den Köpfen hat sich festgesetzt: Ordermesse ist die IMM in Köln, Neuheiten kommen in Mailand auf den Laufsteg.
Nachdem die Salone im April 2020 ausgefallen ist und auch in diesem Frühjahr nicht stattfinden kann, wird nun im September 2021 mit Spannung die erste Messe seit der Pandemie erwartet, die noch dazu die 60. Mailänder Möbelmesse überhaupt ist und zum ersten Mal die Produktkategorien Möbel, Küche und Licht vereinen soll. Es wird versucht, eine staatliche Garantie für die Salone zu bekommen und an die Behörden appelliert, endlich einen Termin für den Neustart aller Messen festzulegen. »Die Salone del Mobile Milano ist unser wertvollstes Werkzeug für den Neustart und damit wichtig für die Branche, für Mailand und das ganze Land«, sagt Claudio Luti, Präsident der Salone del Mobile. Strategien werden am Markt spürbar, Regelfrequenzen von Messen zu ignorieren, um neue Kollektionen unabhängig davon zu platzieren. Zumindest die Design Week könnte im September stattfinden. Skeptiker stellen sich bereits auf ein hybrides Messeformat 2022 in Köln ein.