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Die große Premiere

Innenausbau
Die große Premiere

Die Bochumer Tischlerei Dickerhoff hat unlängst mit dem Innenausbau des Konzertsaales im neuen Anneliese Brost Musikforum Ruhr den mit Abstand größten Auftrag ihrer Firmengeschichte über die Bühne gebracht – mit Bravour.

Mitte September in Bochum, Herbstwetter. Ich bin unterwegs mit Bernward Dickerhoff, er fährt mich durch seine Stadt, die auch die Stadt Grönemeyers und Norbert Lammerts ist, und zeigt architektonische Marksteine: Das Schauspielhaus und die Synagoge, das Museum unter Tage, das Kunstmuseum, das neue Justizzentrum, die Propsteikirche und das Rathaus. In den meisten dieser Gebäude haben die Mitarbeiter der Werkstätten Dickerhoff kürzlich, vor Jahren oder Jahrzehnten kleinere oder größere Tischlerarbeiten ausgeführt. Das aktuelle Projekt sticht daraus hervor: Mit einem Volumen von knapp drei Millionen Euro ist es der größte und in seiner technischen und logistischen Komplexität auch anspruchsvollste Auftrag, der bisher zu bewältigen war.

Zuerst fällt mir die schlank aufstrebende neugotische Kirche in braunem Klinker auf. Sie wird flankiert von zwei neuen kubischen Ziegelbauten in hellem Stein, welche die nicht mehr als solche genutzte Kirche als Foyer nutzen: der Kleine Saal (multifunktional) zur rechten und zur linken Seite die neue Spielstätte der Bochumer Symphoniker. Das in der Architektenszene noch junge Stuttgarter Architekturbüro Bez und Kock hatte den Entwurfswettbewerb mit der Idee für sich entschieden, die ehemalige katholische Kirche als Brücke zwischen zwei neuen Sälen zu nutzen.
Um den Gebäudekomplex sind Erdarbeiten im Gange, wir finden einen Korridor über regenweichen Boden bis zur ersten Planke. Bernward Dickerhoff überragt mich um zwei Köpfe. Übersicht braucht er auch bei diesem Vorhaben, dem größten Einzelgewerk, das die Planer ausgeschrieben hatten. Wir betreten einen fast fertigen Saal: Amerikanischer Kirschbaum formt kühn die geschwungenen Ränge, vornehm liegt die neue Bestuhlung unter dünner Folie, Laufwege auf dem Parkett sind mit Flies ausgelegt. Mitarbeiter der Firma Dickerhoff sind mit den letzten Arbeiten beschäftigt: Auf die Kanten der Trittstufen werden oberhalb der Lichtbänder abgekantete Bronzebleche in Ausfräsungen geklebt, unter den Sitzreihen werden unzählige Auslässe der Lüftung revisionierbar mit furnierten Lochplatten aus Swiss CDF verschlossen. Mit ihren abgerundeten Ecken passen sie genau in die gefrästen Öffnungen. In der Werkstatt entstehen für die eingelassenen Deckenlautsprecher Abdeckungen aus furniertem Aluminium. Ihr Lochraster wird auf dem BAZ gefräst. Aufwendige Details, die nur im Vergleich zu den bewältigten Arbeiten wie Spielerei anmuten – an sie heftet sich nachher der Blick.
Über mir spannt sich in großer Höhe der Decken- screen, eine netzartige Konstruktion aus furnierten Aluminiumprofilen, gefüllt mit MDF und Gipskarton, um gleichermaßen der Akustik und dem Brandschutz zu genügen. Die dreilagige Struktur ist versetzt und auf Abstand dreilagig ausgeführt. Sie bildet für den Betrachter einen Himmel über dem Saal, der sich für den Schall neutral verhalten soll – der Klangraum ist deutlich größer als die sichtbare Raumhülle. Das wird erst offenbar, als wir in die meterhohe abgehängte Stahlkonstruktion direkt unter der Betondecke mit der bereits installierten Bühnenbeleuchtung steigen. Der Screen wurde mit einem rollbaren Gerüst von einem Flächengerüst aus montiert.
Durchlaufendes Furnierbild
Das lebendige und doch gleichmäßige Furnierbild der horizontalen Flächen ist in einem ausgeklügelten Rapport aus Streifern zusammengesetzt, während die blumigen Furnierblätter an den vertikalen Flächen gestürzt verarbeitet wurden. Es wurden Furniere von drei Stämmen verarbeitet, dazu Starkfurnier für den Fußraum der Balustraden. Die Raumhülle setzt sich aus geraden und gewölbten Flächen zusammen, die mehrlagig aufgebaut und an einer Unterkonstruktion aus Stahlprofilen und Multiplexspanten befestigt sind. Die Materialien sind nach Maßgabe des Brandschutzes verbaut – Furniere bis 1 mm Dicke sind zugestanden. Alle Sichtflächen wurden von der Firma Europlac perfekt furniert, Fugen sind gestoßen und verklebt. Im unteren Wandbereich ist die Verkleidung akustisch bedingt geschuppt, dem Hörer zugeneigt bildet sie horizontale Stufen aus, auf denen sich noch ein feiner Staub absetzt, der den Abschlussarbeiten aller Gewerke geschuldet ist. Eine erste Akustikprobe mit dem Orchester hat der neue Saal zum Zeitpunkt meines Besuchs bereits erfolgreich bestanden …
Mitte November in Stuttgart. Ich bin mittags mit Thorsten Kock vom Architekturbüro Bez und Kock verabredet, um über die Schnittstelle von Architekt und Tischlerei zu sprechen. Er wird erst am Nachmittag zurück erwartet, aber Maria Dallinger ist da, eine junge Architektin aus dem fünfköpfigen Planungsteam. Sie hat die meisten Saalausbaupläne gezeichnet und stand in der Ausführungsphase mit den Tischlern in enger Verbindung. Ich sehe akkurate 2D-Schnitte, aus denen die Raumhülle mit geneigten, teilweise verwundenen Flächen abgeleitet wurde, und ahne, welche gewaltige logistische und konstruktive Aufgabe zu bewältigen war, bevor die Tischler ihren ersten Sägeschnitt machen konnten. Aus 2D-Plänen wurden Fertigungsdaten erstellt, ein 3D-Aufmaß hat die Unterkonstruktion sowie Dimensionierung und Konfektionierung der Wand- und Deckenelemente erleichtert. Gewölbte Teile mit schräg ansetzendem Abschluss wurden auf dem 5-Achs-BAZ formatiert. Ihre hohe Passgenauigkeit im Verbund beeindruckt durch Spaltmaße, die ohne CAD und CNC bei dieser komplexen Raumgeometrie nicht vorstellbar wären.
Als das Musikforum Ende Oktober eröffnet wurde, waren alle da: die Bochumer Symphoniker mit ihrem Generalmusikdirektor Steven Sloane, Architekten und Handwerker, Herbert Grönemeyer, die Münteferings, Norbert Lammert und ganz normale Bochumer. Sie feierten ihre neue Blume im Revier, für die viele den Boden bereitet haben – auch der Saalausbau war nur mit einem hervorragenden Team zu bewältigen. Eine großartige Referenz für die Tischlerei Dickerhoff und ein Meilenstein in der Unternehmensgeschichte.

dds-Redakteur Johannes Niestrath hat den Konzertsaal im Juli 2016 besichtigt, etwa drei Monate vor der Eröffnung. Was das Team der Tischlerei Dickerhoff hier zustande gebracht hat, ist atemberaubend!

Steckbrief

Objekt: Konzertsaal im Anneliese Brost Musikforum Ruhr
Bauherr: Stadt Bochum
Planung: Bez + Kock Architekten70174 Stuttgartwww.bez-kock.de
Ausbau: Werkstätten Dickerhoff 44803 Bochum www.dickerhoff.de
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