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Das Prinzip Bauhaus

Gestaltung
Das Prinzip Bauhaus

Auch 90 Jahre nach seiner Gründung ist das Bauhaus in Architektur und Design allgegenwärtig. Julia Taubert zeigt anhand von acht Gestaltungsprinzipien die Verwandtschaft moderner Entwürfe mit Designklassikern der Bauhaus-Ära.

Julia Taubert, Lehrstuhl für Entwerfen und Ausbaukonstruktion Burg Giebichenstein, Kunsthochschule Halle (Saale)

Der Ruf des Bauhauses als Stätte, die sich disziplinübergreifend mit Bildender Kunst, Architektur, Design und Bühne beschäftigte, ist mehr als 70 Jahre nach seiner Schließung weltweit von unübersehbarer Aktualität. Und wer vom Bauhaus spricht, meint nicht nur die Schule mit jenem treffend gewählten Namen, sondern auch das Programm einer geradlinigen Erfolgsbilanz, die bis zum heutigen Tage anhält. Kaum ein anderer Begriff ist in der Auseinandersetzung mit Gestaltung derart nachhaltig mit Assoziationen besetzt. Bauhaus steht als Synonym für moderne Einrichtung schlechthin. Alles was heute kantig oder eckig und dazu noch weiß anmutet, bekommt schnell den Stempel Bauhaus aufgedrückt.
Was macht ein Bauhaus-Möbel aus? Und welchen Einfluss übt das »Prinzip Bauhaus« bis zum heutigen Tag auf Gestalter aus? Dies wird deutlich, wenn man Designklassiker aus der Bauhaus-Ära mit Entwürfen in Beziehung setzt, die sich dem Bauhaus verpflichtet fühlen, aber mehr als nur dessen formalen Ausdruck übernommen haben. Was das Bauhaus vor allem ausmacht, ist ein radikaler, unkonventioneller Entwurfsprozess. Grundsätzliches in Frage zu stellen, hat mutige und selbstbewusste Konzepte destilliert, vom Ideal beseelt, der Gesellschaft ein neues Gesicht und dem modernen Menschen ein neues Denken zu verleihen.
Prinzip Farbigkeit
Gerrit Rietveld, einer der bedeutendsten Vertreter der holländischen Bewegung »De Stijl«, dessen Ideen am Bauhaus Aufmerksamkeit fanden, verlieh seinem bereits 1917 entworfenen Stuhl im Jahre 1923 die charakteristische Farbigkeit. Ein treffendes Beispiel, wie Farbgebung ein Kompositionsprinzip hervorheben kann. Als Weiterführung im Geiste kann man das vom Mailänder Architekten und Designer Ettore Sottsass in den frühen Achtzigern entworfene Regal Carlton betrachten. Das Möbel wird zu einer Art optimistischer Collage, die auf Dekor und Schmuck zugunsten der Vielfarbigkeit als Zeichen der Moderne verzichtet.
Prinzip Leichtigkeit
Durch den zellulosebasierten Kunststoff konnte das Gewicht des 1967 gezeigten Klappstuhls Plia stark reduziert werden. Der Entwurf von Giancarlo Piretti wird wegen der hohen Verkaufszahlen auch »Thonet des 20. Jahrhunderts« genannt und hat Designgeschichte geschrieben.
Den Grundgedanken, Leichtigkeit als ein Wesensmerkmal für ein Möbel zu reklamieren, hatte bereits Gio Ponti, Mailänder Architekt, der als Gründer der Avantgarde-Zeitschrift »Domus« einer der geistigen Testamentsvollstrecker des Bauhauses war. Er entwickelte in den Jahren 1951–57 vier Stühle in der Reihe Superleggera, Sitzmöbel, die auf das Notwendigste reduziert waren. Ponti sah seinen Entwurf als Stuhl-Stuhl, den Inbegriff des Stuhls, an.
Prinzip Konstruktion
LC 2 von Le Corbusier und Charlotte Perriand, ein kubischer Armlehnensessel aus verchromtem Stahlrohrgestell mit fünf lose eingelegten Lederpolstern, galt seinerzeit als eine geradlinige Neuinterpretation des Club Fauteuils aus dem 17. Jahrhundert. Hier knüpfte 1989 das österreichische Architektentrio Coop Himmelb(l)au an.
Wie bei ihren Architekturentwürfen, bei denen sie eine Art Kontraposition zur Sprache der klassischen Moderne beziehen, dekonstruierten sie die Strenge der Formen-, Farb- und Materialsprache. In ihrem Sitzmöbel Vodol Seat zitieren sie das populäre Vorbild ungeniert; seine prägende Konstruktion wird dabei mit einer gehörigen Prise Humor aus den Angeln gehoben.
Prinzip Statik
Zum Symbol der Bauhaus-Moderne ist der Freischwinger geworden, ein Stuhl ohne Hinterbeine, dessen Sitzfläche federnd nachgibt. Von Marcel Breuer stammt das bekannteste Exemplar. Als Sitzfläche liegt ein mit Naturgeflecht bespannter Holzrahmen auf dem verchromten Stahlrohrrahmen auf.
Der Panton Chair des Designers Verner Panton ist in gewisser Weise eine Cover-Version der Bauhaus-Ikone und folgt deren statischem Prinzip. Zunächst war der S-förmig geschwungene Stuhl in Teakholz gedacht. Inspiriert von der Popkultur wurde er dann aber doch aus dem in den 1960er-Jahren angesagten Material Kunststoff gefertigt.
Prinzip Technik
Marcel Breuer war als Leiter der Möbelwerkstatt am Dessauer Bauhaus tätig. Er entwickelte 1936 das Tischset Isokon aus gebogenem Birkenschichtholz. Die rechteckige Grundform geht an den Längsseiten in sich verjüngende Beine über. Bekannte Materialien mit Hilfe modernster Technik in einen neuen Kontext zu stellen, ist auch heute noch ein bedeutendes Experimentierfeld der Designer.
Das Designteam Dreipunkt4! hat zu Beginn des neuen Jahrtausends den Plattenwerkstoff »3f-board« erdacht, der sich auf Grund einer flexiblen Mittellage auf dem CNC-Bearbeitungszentrum so fräsen lässt, dass man ihn falten kann. Ein Beispiel ist der Hocker Falter aus dem Jahr 2002.
Prinzip Improvisation
Wilhelm Wagenfeld kreierte in frühen Jahren des Bauhauses aus industriell gefertigten Halbzeugen die Tischleuchte Wg 24, bei der man die jeweils für ganz andere Zwecke gefertigten Teile nicht mehr ausmachen kann.
Dieser Methodik der »Bricollage« bediente sich Anfang der 1970er-Jahre auch Richard Sapper beim Entwurf seines Büroleuchten-Bestsellers Tizio. Die Halogenlampe stammte aus einem Autoscheinwerfer und die Niederstrom führenden Gelenke bestehen aus Hosendruckknöpfen!
Betonung der Horizontalen
Walter Gropius, Gründer des Bauhauses, war nicht nur Architekt, sondern schuf auch richtungweisende Interieurs und Einrichtungsgegenstände als prägenden Ausdruck eines neuen Lebensstils. Die Zeitschriftenablage aus dem Jahre 1923 zeigt raffiniert gestapelte Volumen mit zweckmäßigen Unterteilungen. Eine spielerische Steigerung von Gropius Bestreben nach Normierung und einer Industrialisierung zeigt das Regal Egal von Axel Kufus, das an Variantenreichtum kaum zu übertreffen ist.
Entwurf und Poesie
Marcel Breuer ersetzte die massigen Polsterkörper traditioneller Clubsessel durch eine skelettartige Konstruktion aus gebogenem Stahlrohr und nutzte die Elastizität des Materials, um sie durch eine feste Stoffbespannung für Sitz und Lehne zu ergänzen. Er sah in seinem 1925 entworfenen Sessel B 3 Wassily »nicht nur Symbole der Technik, sondern die Technik überhaupt«. Auch der Schweizer Architekt Mario Botta demonstriert mit Quarta 604 in erster Linie sein Entwurfsvokabular, das er hier auf den Entwurf eines Sitzmöbels anwendete. Es handelt sich also eher um einen Essay als um ein serientaugliches Objekt – auch das ist ein Vermächtnis des Bauhauses.
Wichtigstes Erbe ist vielleicht die Erkenntnis, dass Leidenschaft, Vision, Mut und ausdauernde Experimentierfreude Innovation und Schönheit hervorbringen können.
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