Mein erster Blick fällt auf das durchlaufende massive Eichenholz der Schubladenfronten, das nur durch Schattenfugen und Zinken unterbrochen wird. Wunderschön! Ich verstehe die Idee, die Schubladen in zwei Höhen optisch frei schwebend aufzureihen. Dieser Eindruck wird dadurch verstärkt, dass auch bei geöffneten Schubladen keine Beschläge sichtbar sind. Die Konstruktion wirft allerdings einige Fragen auf: Damit die Schubladen staubfrei gehalten werden können, hat jede einen 8 mm starken Deckel, dessen gefälzte Kanten oben in den innen genuteten Wangen geführt werden. Für die Schubladenseite ist das eine reißanfällige Konstruktion, weil sie ohne Toleranz zum Quellen und Schwinden zwischen Deckel und Vollauszug eingespannt ist. Bei schwerer Belastung wie der Bestückung mit Weinflaschen kippt zudem auch ein stabiler Auszug im ausgezogenen Zustand etwas nach unten. Dadurch wird der verbleibende Rand der Wange von 4 mm oberhalb der Nut belastet. Gibt der Deckel nach oder die Nut? Der konstruktive Boden unter der Schublade sowie der Deckel sind durch eine zurückspringende Aufdopplung in der Tiefe nur auf 210 mm mit dem Korpus verbunden, sie kragen zur Hälfte aus, wie der Vertikalschnitt zeigt. Aus meiner Sicht eine gewagte Konstruktion, von der ich nicht sagen kann, wie sie sich langfristig unter Last verhält. Auch werden die dadurch realisierten Schattenfugen nur aufwendig zu reinigen sein.
Die Ästhetik der Schubladenfronten leidet etwas durch die in die Vorderstücke eingefrästen Griffe und die von oben sichtbaren Deckel. Mich erinnert diese Aufsicht etwas an Spielzeugkisten! Das Sideboard mit den Außenmaßen 2898 x 586 x 440 mm bietet in den zwölf Schubkästen verhältnismäßig wenig Stauraum: Sie haben ein lichtes Maß von 433 x 385 x 125 mm bzw. 233 mm. Das insgesamt nutzbare Volumen steht zum Außenvolumen des Korpus im Verhältnis von nahezu 1:2. Ob der hohe Materialeinsatz formal und funktional zu rechtfertigen und zeitgemäß ist?
Ursula Maier, Stuttgart, Maître Ébéniste und Innenarchitektin BDIA. Die Unternehmerin hat ihren Betrieb um ein Einrichtungshaus sowie ein Büro für Innenarchitektur erweitert und 2007 an die vierte Generation übergeben.