Ist das Kunst oder kann das weg? Die mit Schaffell bezogenen Gesellenstücke von Lina Schuurman und Hagen Kuller aus der Werkstatt Reichenberg Weiss brechen mit der Sehgewohnheit und werden womöglich wieder die leidige Frage aufwerfen, was ein Möbel respektive Gesellenstück sein kann und was nicht!
Der Künstler Joseph Beuys hatte zweimal das Nachsehen, als seine Werke zweckentfremdet oder schlicht weggeputzt wurden, weil jemand sie nicht als Kunst erkannte.
Anders 2022 in Wesel: Die schwarzen Schafe vom Niederrhein behaupten sich stolz als Möbel! Einmal mehr loten Gesellinnen und Gesellen von Reichenberg Weiss in Teamarbeit für ihre Gesellenstücke Grenzbereiche aus, diesmal zwischen feiner Holzkonstruktion und flauschigem Schaffell. Die selbst gewählten Schwierigkeiten sind beachtlich und können an der Aufgabenstellung wie am Ergebnis ermessen werden.
Horizontal liegt die mit feinen Leisten rückseitig verstärkte Fellmatte satt auf dem Korpus auf. Ein Möbel in der Vertikalen wie eine Reisetasche zu öffnen, ist schon etwas anderes: Das Fell hat sein Gewicht und auch die aufgesetzten Leisten aus Oregon Pine lassen es nicht zur starren Möbelfront werden – die Tür, die eigentlich eher eine Matte ist, hängt ein wenig.
Doch ist das für diesen Entwurf spielentscheidend? Innovativ ist der Ansatz, einen Möbelkorpus wie einen belebten Körper als ein Skelett mit Haut zu verstehen. Das dieser anderen Gesetzen unterliegt als ein orthogonaler Kubus mit Beschlägen, dürfte klar sein.
Acht weitere Gesellenstücke aus der Innung Wesel zeigen, dass auch in der klassischen Möbelkonstruktion noch Potenzial liegt, das erkannt und verwandelt werden will!
dds-Redakteur Johannes Niestrath war als Mitglied der Jury Gute Form im HBZ Moers vor Ort, wo die Gesellenstücke im Juni 2022 ausgestellt waren. Großes Kino am Niederrhein, diesmal sogar mit Deichschafen.
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