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»Das Leben ist fast zu kurz«

Ausbildung
»Das Leben ist fast zu kurz«

Am 14. Februar 2015 feierte Wolfgang Nutsch seinen 80. Geburtstag. Im dds-Interview blicken wir mit ihm auf seine nach wie vor aktive Tätigkeit für das Tischler- und Schreinerhandwerk.

Das Interview führten Hubert Neumann und Johannes Niestrath, dds-Redaktion

Herr Nutsch, Ihr Werdegang ist ein Musterbeispiel für den zweiten Bildungsweg: Von der Lehre über Techniker und Ingenieur bis zum Lehramt an Beruflichen Schulen.
Die finanzielle Lage meiner Mutter war so, dass nicht beide Kinder bis zum Abitur gehen konnten. Mein Vater war noch in Kriegsgefangenschaft. So bin ich erst einmal Schreiner geworden. Schon immer habe ich gern gezeichnet. Die Ingenieurschule kostete damals Gebühren, nachmittags zeichnete ich für drei Mark die Stunde Baupläne. Manchmal für drei Bauräte gleichzeitig! Zudem musste ich zu Hause Kostgeld zahlen, darum habe ich mich beim Land Niedersachsen für die Ausbildung zum Baubeamten verpflichtet.
Aus dieser Laufbahn haben Sie sich dann aber wieder entlassen lassen.
In der Bauverwaltung nur das Geld richtig verteilen, das war nichts für mich. Ich wollte entwerfen und bauen. Auf der Behörde ist ja alles geregelt, dort dürfen Sie nur nach Erlassen und Verfügungen vollziehen. Da habe ich zu meiner Frau gesagt, das halte ich ein ganzes Berufsleben nicht durch. Lehrer zu werden war ein sehr früher Wunsch von mir. In Niedersachsen war das ohne Abitur nicht möglich, aber in Baden-Württemberg konnte ich mit meinem Ingenieurexamen einsteigen. So kam ich 1965 nach Stuttgart an die Fachschule für Holztechnik, damals noch in der Filderstraße. Dort habe ich wegen Zimmermangels anfangs auf dem Feldbett geschlafen …
Zwei Jahrzehnte später haben Sie die ersten Gestalter ausgebildet.
Der einflussreiche Schreinermeister Hermann Maier gab dazu den Impuls: Wir müssen unbedingt etwas für die Gestaltung im Schreinerhandwerk tun. Auch mir war es wichtig, Maßstäbe für eine höhere Gestaltungsqualität zu vermitteln. Bei den Goldschmieden und Steinmetzen gab es bereits eine entsprechende Ausbildung, warum nicht auch für die Schreiner? Ich habe mich dann der Sache angenommen und einen Lehrplan zum Staatlich geprüften Gestalter erarbeitet. Vorbild war mir dafür in vielem meine eigene Ausbildung in Hildesheim, die auf den drei Säulen Gestaltung, Technik und Betriebsorganisation aufbaute.
Die neue Gestalterausbildung hatte schnell einen ausgezeichneten Ruf.
Ja, es gab Jahrgänge mit bis zu 600 Bewerbern, wir mussten mittels einer Aufnahmeprüfung auswählen. Innerhalb von zwei Jahren konnte man den Gestalter und nebenher auch den Meister machen.
Gab es eine Schnittmenge mit dem Studium der Innenarchitektur?
Es gab dort anfangs die Befürchtung, wir wollten in Konkurrenz treten. Das war nie meine Absicht. Wir wollten Handwerksmeister ausbilden, die gut entwerfen, konstruieren und organisieren können. Das ist es, was die Absolventen im Beruf brauchen.
Das Konstruieren steht heute oft hinter dem Entwerfen zurück.
Beides ist wichtig. Schlimm finde ich, wenn Grundrisse einfach nur mit Objekten aus dem Internet möbliert werden. Wo bleiben hier die raffiniert konstruierten Einbauten, die so nur der Schreiner liefern kann?
Absolventen berichten gern von Ihren engagierten Korrekturen …
Das waren positive Stressmomente: Eine Zeichnung zu zerpflücken und herauszuarbeiten, warum etwas nicht funktioniert oder anders sinnvoller wäre – das mit Schülern zu erarbeiten, die praktische Erfahrung mitbringen, war für mich immer spannend.
Vielen sind Sie auch durch Ihre Fachbücher bekannt geworden.
Für dds habe ich über viele Jahre eine Lehrlingsbeilage verfasst. Ich wollte Grundkonstruktionen vermitteln, die universell einsetzbar sind. Aus diesem Material ist dann um 1970 auch das erste Buch zu den Möbelverbindungen entstanden (»Gelber Nutsch«), das gerade wieder neu aufgelegt wird, heute allerdings viel umfangreicher und mit CAD gezeichnet.
Was sind Ihre persönlichen gestalterischen Vorbilder?
Geprägt haben mich sicher zuerst meine Hildesheimer Lehrer und später die skandinavischen Gestalter. Bei den Meisterstücken habe ich zu Gunsten einer reduzierten Formensprache das Profilieren reduziert. Heute verlassen die Gesellen- und Meisterstücke leider oftmals wieder die klare Form und entwickeln sich eher zu einer Plastik.
Dazu tragen die Möglichkeiten von CAD und CNC maßgeblich bei.
Natürlich, damals hieß es, wo die Rundung anfängt, hört der Verdienst auf. Da hat sich durch neue Technologien einiges verändert und die Versuchung ist groß, alle Möglichkeiten auszureizen. Was heute in den Prospekten zu sehen ist, das Gezappel von Höhen und Tiefen der Möbelelemente, die einzeln an der Wand hängen, das ist für mich schlimm, eine gezielte Unordnung.
Wo steht das Schreinerhandwerk heute, was sind die Aufgaben?
Wir müssen mit allen Kräften gegen die vielen unsinnigen Bestimmungen arbeiten. Es kann doch nicht sein, dass ein Meisterbetrieb bald keine Haustür oder Zimmertür mehr fertigen darf, weil er nicht über die vorgeschriebenen Prüfzeichen verfügt. Die Neufassung der DIN 919 hat mir wieder klar gezeigt, wie schlecht unser Handwerk hier vertreten ist. Auf eigene Kosten bin ich zum DIN Ausschuss nach Berlin geflogen, um an etlichen Fehlern zu zeigen: Das könnt ihr so nicht machen. Mit der Folge, dass der Anhang C, Beispiele DIN-gerechter Zeichnungen und Stücklisten, in der Neufassung vom August 2014 bisher fehlt.
Würden Sie sich noch einmal für das Lehramt entscheiden?
Na klar! Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Erwachsene Menschen zu Fachkräften in ihrem Beruf ausbilden zu dürfen, das war für mich absolut der Glückspunkt. Das war mein Ziel, und diesen Weg bin ich mit viel Freude gegangen. Und wenn auch heute noch Ehemalige kommen und sagen: Es war ok – was will man mehr?
»Wichtig ist, dass man im Beruf zufrieden ist. Der Beruf prägt den Menschen.«
Wolfgang Nutsch

Steckbrief

Wolfgang Nutsch ist 1935 in Hildesheim geboren. Mittlere Reife, Tischlerlehre, Meisterprüfung und Technikerausbildung. Staatliche Ingenieurschule zum Diplomingenieur im Fach Architektur. Zwei Jahre als Technischer Angestellter beim Staatshochbauamt Hildesheim, dann drei Jahre Baubeamter. 1966 legt er in Baden-Württemberg die Prüfung für das Lehramt an beruflichen Schulen ab und ist bis zur Pensionierung 1997 an der Fachschule für Holztechnik Stuttgart in der Meister-, Techniker- und Gestalterausbildung tätig.
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