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Die Zukunft ist barrierefrei

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Die Zukunft ist barrierefrei

Der Begriff »barrierefrei« ist seit einigen Jahren in aller Munde. Wer sind die Zielgruppen, wie können wir sie ansprechen und was können wir ihnen bieten? dds-Autorin Sabine Zöller kennt sich aus.

Gleich vorweg: Wir tun uns schwer barrierefreie Umbauten und Wohneinrichtungen zu verkaufen. Wissenschaftliche Untersuchungen bemühen sich, den offensichtlich vorhandenen Bedarf zu beweisen und hantieren mit Zahlenmaterial über die demografische Entwicklung. Das größte Hindernis ist aber, dass potenzielle Kunden nicht zur Zielgruppe »barrierefrei« gehören möchten.

Vier Kunden-Zielgruppen
Die sogenannten Best-Ager zwischen 40 und 50 Jahren bilden die Zielgruppe Komfort-Wohnen. Sie stehen noch mitten im Berufsleben. Es gibt jedoch Veränderungen in der Wohnraumnutzung und den finanziellen Möglichkeiten (Kinder aus dem Haus, etc.). Diese Kundengruppe möchte keine Barrierefreiheit, sondern sie möchte sich etwas gönnen – hier ist Komfort das Zauberwort!
Ihnen folgt die große Gruppe der Silver-Ager, den Senioren und den jungen Alten. Hier geht es um Wohnungsanpassung. Je nach dem ob man die Alterseinstiegsgrenze für Silver-Ager bei 50, 55 oder 60 Jahren ansetzt, wird diese Lebensphase gekennzeichnet durch biografische Umbrüche, beginnende oder fortschreitende körperliche Einschränkungen sowie Überlegungen für die Lebensgestaltung nach dem Berufsausstieg.
Ein weiteres Betätigungsfeld sind die in letzter Zeit vermehrt in Großstädten entstehenden Mehrgenerationen-Projekte. Diesen Projekten gehen meist lange Planungsphasen zwischen Bewohnern und Architekten voraus. Sie werden alle barrierefrei nach DIN 18025, Teil 1 und 2, sowie DIN 18024, Teil 2, umgesetzt (siehe Kasten S. 74).
Den offensichtlichsten Bedarf haben die tatsächlich körperlich beeinträchtigten Menschen – diese Zielgruppe will selbstständig leben mit Behinderung. Bei Rollstuhlfahrern geht es hauptsächlich um Mobilität. Wichtig ist die individuelle Betrachtung der Einschränkung und deren Auswirkungen.
Auf sich aufmerksam machen
Verschaffen Sie sich einen Überblick, welche Bevölkerungsgruppen in Ihrer Region in relevanter Anzahl vertreten sind. Wichtige Hinweise geben Altersstruktur, Einkommen, Kaufkraft, Anteil Hausbesitz, Spezial-Krankenhäuser und Rehabilitations-Zentren. Für die Aquise einer bestimmten Kundengruppe sollte man sich überlegen, welche Themen und Orte für Marketingmaßnahmen zusammen passen. Komfort-Wohner erreicht man z. B. über Produkte und an Orten, die für einen gehobenen Lebensstil sprechen (der besondere Weinhändler oder die gehobene Wellness- oder Firness-Oase). Solche Firmen lassen sich als Partner für gegenseitiges Empfehlungsmarketing gewinnen.
Senioren widmen ihre Zeit gerne kreativen Tätigkeiten oder dem Garten. Man trifft sie in Volkshochschulen und Akademien für Ältere sowie auf Seniorenmessen. Auch Sanitätshäuser lassen sich als Partner gewinnen.
Um an Aufträge im Rahmen von Mehrgenerationen-Projekten zu kommen, führt der Weg über die Architekten. Kontakte lassen sich über Berufsförderungswerke sowie auf Veranstaltungen zu Bebauungen knüpfen. Menschen mit Behinderung erreicht man, indem man Vorträge zu Wohnungsthemen bei Fachforen und Beratungszentren hält. Nicht zuletzt sollte man seine Stammkunden über die neue Ausrichtung barrierefrei informieren.
Den Kunden ansprechen
Welche Besonderheiten sind im Umgang mit Barrierefrei-Kunden zu beachten? Es ist wie mit allen anderen Kunden auch: Nur wenn Sie den Blickwinkel des Kunden einnehme, werden Sie die passende und beste Lösung finden. Nehmen Sie sich kurz Zeit und überlegen:
  • Habe ich die nötige fachliche sowie kundenorientierte Kompetenz für Beratung und Umsetzung?
  • Habe ich eigene (oder in der Familie erlebte) Erfahrungen mit Krankheit, Alter, Beeinträchtigung?
  • Habe ich Kontakte zu alten Menschen, Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung, Menschen im Rollstuhl?
  • Spüre ich eine Verunsicherung im Umgang mit Menschen, die eine körperliche Beeinträchtigung oder Krankheit haben?
  • Was verbinde ich mit Alter, Beeinträchtigung und Einschränkung?
Von Handwerksbetrieben und deren Mitarbeitern wird erwartet, dass sie die Aufträge mit Einfühlungsvermögen und Sachkenntnis (Umsetzung nach DIN) bearbeiten, Barrieren erkennen und mit kreativer Problemlösungs- und Gestaltungskompetenz beseitigen.
Dabei müssen unabhängig von den Norm-Lösungen sehr persönliche Dinge besprochen werden. Bei der Frage: »Wo soll der Toilettenpapierhalter hängen?« muss z. B. erfragt werden, ob der Kunde selbst das Papier benutzt oder die Assistenz. Am einfachsten sind solche Dinge auf einer sachlichen Ebene zu besprechen. Dem Verkäufer sind solche Fragen vielleicht unangenehm. Für den Kunden gehört es jedoch zum Alltag, diese Punkte zu klären.
Anders ist dies bei den Komfort-Kunden und den Silver-Agern. Sie sind ohnehin noch fit, eventuelle Veränderungen des eigenen Körpers sowie nachlassende Fähigkeiten werden meist als negativ betrachtet. Daher möchte sich diese Zielgruppe nicht gerne Maßnahmen unter der Überschrift Wohnungsanpassung verkaufen lassen, schon gar nicht prophylaktisch. Vom Thema Alter hält man sich fern!
Senioren wissen Nutzen besonders zu schätzen. Dabei sollte nicht die Technik im Vordergrund stehen, sondern leichtere Bedienung, mehr Entspannung und ein komfortableres Leben. Dennoch darf es technische Features, wie z. B. herausfahrbare Geräte geben.
Ihre Leistung für den Kunden
Wohnthemen für Ältere sind neben Bad, Küche und Wohnraum auch der Schlafbereich (Erhöhung des Bettes, Rost mit mehr Komfort). Dabei stoßen wir auch auf Tabu-Themen, z. B. soll das neue Doppelbett später (beim Tod des Partners) in zwei Einzelbetten teilbar sein? Aber auch: Wie lege ich jemanden aufgrund seines Alters ein erhöhtes Bett nahe? Grundsätzlich sollte beachtet werden, dass für die angebotene Lösung eine Erweiterung möglich ist, falls sich der Gesundheitszustand verschlechtert. Wichtig ist bei Wohnungsanpassung in punkto Erinnerungsfähigkeit und Konzentration, dass die Handhabungsabläufe gleich bleiben und möglichst selbsterklärend sind. Im Hinblick auf Rollstühle lässt sich prinzipiell sagen:
  • Bei Möbeln sind Schiebetüren geeigneter als Drehtüren, da letztere zum öffnen umfahren werden müssen. Außerdem benötigt man zum Schieben weniger Kraft als zum Ziehen.
  • Für Rollstuhlfahrer sind waagrechte und lange Griffe optimal.
  • Hat die Person wenig Kraft, ist es wichtig, dass Türen leichtgängig sind. Bei einer Person mit wenig feinmotorischen, sondern eher spastischen Bewegungen ist es jedoch richtig, dass die Türen schwerer zu öffnen und damit besser kontrollierbar sind.
  • Raumhohe Schränke machen in der Regel wenig Sinn. Der Kunde sollte alle Dinge selbst erreichen (sofern Arme und Hände benutzt werden können). Eine Alternative sind Kleiderlifte (gegebenenfalls elektrisch betrieben).
  • Eine genügend große Ablage in Griffnähe zum Bett hält Bücher, Getränk und Medikamente bereit.
  • Stühle und Sofas sollten eine Höhe haben, die ermöglicht, sich vom Rollstuhl aus bequem umzusetzen. Sofas in dieser Höhe gibt es auf dem Markt jedoch nicht, ebenso wenig wie die dazugehörenden Couchtische.
  • Stühle mit Armlehnen sind meistens geschickter als Stühle ohne Armlehnen.
  • Bei Tischen ist wichtig, dass Beine und Zarge so angeordnet sind, dass ein Rollstuhl darunter passt.
  • Bei Küchen kommt es darauf an, wer kocht und wer welche Arbeiten erledigt. Eine aufwendige Höhenverstellung des Kochfelds macht nur Sinn, wenn der Rollstuhlfahrer auch selbst kocht.
  • Bei einem hochgestellten Kühlschrank ist der Überblick über Lebensmittel günstiger, bei einem Backofen in Augenhöhe kann der Garvorgang verfolgt werden.
  • Ein Sockel sollte so hoch sein, dass er mit den Fußrasten des Rollstuhls unterfahren werden kann.
  • Möbel auf Rollen, die sich einfach feststellen lassen, sind besonders praktisch.
  • Im Bad ist der Platzbedarf um die Toilette herum mit 150 cm angegeben (DIN).
  • Setzt sich der Mensch selbst auf die Toilette? Oder wird er umgesetzt? Wenn ja, wo steht der Rollstuhl und wo muss Platz für die Assistenz sein?
  • Der Einbau einer bodenbündigen Dusche hat viele Vorteile: mit Dusch-Rollstuhl selbstständig in die Dusche fahren zu können, sich alleine unter der Dusche mit Wasser berieseln zu lassen – ein wichtiges Stück Intimsphäre!
  • Bestimmte Höhen sind zu hinterfragen, z. B. die Dekor-Fliesen nicht auf 180 cm hängen, sondern auf Augenhöhe von etwa 120 cm.
  • Ein verlängerter Hebel am Waschbecken ist nicht nur behindertengerecht, sondern auch für kleine Kinder praktisch.
  • Die Farb-Kontraste der Wohneinrichtung dürfen bei Senioren und Sehbehinderten deutlich gesteigert sein. Auch Farbwirkungen wie entspannend für blau, stimulierend für orange oder hellblau für leicht sollten eingesetzt werden.
  • Bei Blinden muss der Sehsinn durch Tasten und Hören ersetzt werden.
Denken Sie für ihre Kunden mit und nehmen Sie ihnen möglichst viel ab. Bieten Sie Service aus einer Hand, sowohl innerhalb des eigenen Gewerkes wie auch durch gewerkeübergreifende Kooperationen. Dienstleistungen müssen inbegriffen sein: Anrufe tätigen, Informationen beschaffen, Reparaturen erledigen. Das Image der Firma und die Persönlichkeit des Verkäufers wirken im besten Fall verkaufsfördernd. Arbeiten Sie daran! Sabine Zöller

Kompakt Senioren – Zielgruppe mit Zukunft
Von diesen Fakten können Sie ausgehen:
  • Der Markt der Alten ist ein Wachstumsmarkt: 2030 wird jeder dritte Bundesbürger über 60 Jahre alt sein. Heute ist es noch jeder fünfte.
  • Nur ca. fünf Prozent der Menschen über 65 Jahren lebt im Heim.
  • Das durchschnittliche Eintrittsalter ins Alten- und Pflegeheim liegt bei 83 Jahren.
  • Die Eigentumsquote von Seniorenhaushalten in den alten Bundesländern liegt bei über 50 Prozent.

  • Gesetze und Normen Barrierefrei per Gesetz

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    Welche Richtlinien gilt es beim barrierefreien Planen und Bauen zu beachten?
    Sabine Zöller
    Nach dem Bundesgleichstellungsgesetz und der bundesweit gültigen Musterbauordnung (MBO) sind alle Gebäude barrierefrei zu gestalten, die mehr als nur gelegentlich von alten Menschen, Menschen mit Behinderung und Personen mit Kleinkindern aufgesucht werden. Man unterscheidet in der Hauptsache:
    • horizontale Barrieren: Durchgangsbreiten von Hauseingängen, Fluren, Türen
    • Barrieren in der Höhe: Schwellen, Stufen, Treppen
    • Barrieren in der Raumnutzung: Bewegungsräume z. B. im Bad, in der Toilette oder vor dem Schrank.
    Da das Bauen in die Kompetenz der Länder fällt, sind die entsprechenden Anforderungen in den jeweiligen Landesbauordnungen (LBO) geregelt.
    Darüber hinaus geben die DIN 18024 und 18025, demnächst abgelöst von der DIN 18040, wichtige Maße für das barrierefreie Bauen vor. Unterschieden wird zwischen öffentlich zugänglichen Gebäuden und barrierefreien sowie rollstuhlgerechten Wohnungen. Die DIN-Normen regeln in der Hauptsache die Bewegungsflächen, die Zugänge durch Türen, die Bedienelemente und die Installationsmaße im Bad. Maße in der Küche für Möbel und Schlafräume etc. sind davon abzuleiten.
    Wichtige Maße sind:
    • Bewegungsflächen zum Drehen: 120 x 120 cm (in öffentlichen Gebäuden/rollstuhlgerecht: 150 x 150 cm)
    • Lichte Durchgangsbreiten: 90 cm (in barrierefreien Wohnungen nur bei Eingangstüre, sonst 80 cm)
    • Lichte Durchgangshöhe 2100 cm
    • Höhe Bedienelemente wie Türdrücker, Lichtschalter, Klingel: 85 cm
    • Höhe Haltegriff: 85 cm (für barrierefrei/rollstuhlgerechte Wohnungen empfohlen, in öffentlichen Gebäuden muss der Griff zusätzlich klappbar sein)
    • Sitzhöhe z. B. Toilette: 48 cm
    • Oberkante Waschtisch: 80 cm (nur für öffentliche Gebäude, sonst empfohlen)
    • Kniefreiheit und Unterfahrbarkeit z. B. bei Waschtischen: 30 cm ab Vorderkante, 67 cm Höhe (nur für öffentliche Gebäude und rollstuhlgerechte Wohnungen)
    • Max. Freihöhe aus dem Rollstuhl 130 cm sowie max. Greiftiefe 40 cm.

    • Service Kontakt zur Autorin
      Sabine Zöller ist betriebstechnische Beraterin beim Landesinnungsverband für das Tischlerhandwerk in Hessen. Sie arbeitet außerdem selbstständig als Referentin und Beraterin und ist öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige im Tischlerhandwerk. www.zoeller-heidelberg.de
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