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Der Mangel ist immer dabei

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Der Mangel ist immer dabei

Schreiner haben auf Kuba kein leichtes Leben, auch wenn sie Zeit- oder Leistungs- druck nicht kennen. Der Schreiner und Weltenbummler Christian Härtel war per Fahrrad im sozialistischen Inselstaat unterwegs und lässt uns an seinen Eindrücken teilhaben.

José ist Schreiner in Havanna. Sein Monatslohn für 40 Stunden Arbeit pro Woche liegt umgerechnet bei knapp 15 Euro, oder anders ausgedrückt: der Preis für ein Abendessen eines europäischen Touristen in der kubanischen Hauptstadt. Der Mangel ist Programm. Andere verdienen auch nicht viel mehr, egal ob Arzt oder Ingenieur. Von Mangel geprägt ist auch der Berufsalltag von José. Dunkel ist es in der Werkstatt. Die wenigen kleinen Fenster sind voller Staub. Tageslicht dringt deshalb nur wenig in die große Halle. Wie überall in Kubas Schreinereien gibt es keine Absaugung an den Maschinen. Stattdessen werden die Späne auf einen Haufen getragen. Der Abtransport erfolgt dann händisch und durchaus auch mittels Pferdegespann.

Einen Block weiter in Havannas Altstadt arbeitet Yosvel. Der Bauschreiner hat seine Werkstatt unter freiem Himmel zwischen zwei Häusern. Zumindest über den Maschinen hat er notdürftig ein Dach gebaut. Trotz des sonnigen Klimas sieht man der rostigen Kreissäge und auch der Hobelmaschine die Umstände deutlich an. In Yosvels Werkstatt werden vor allem Fenster und Türen gefertigt. Eine Massivholztür in Rahmenkonstruktion, die stumpf in einen einfachen Falz des noch einfacheren Blockrahmens schlägt, kostet in einem Geschäft umgerechnet gut 80 Euro. Die lasierten Türen werden als Rohlinge verkauft, damit sie flexibel verwendbar sind. Schlosskasten und Bänder müssen noch eingearbeitet werden. Die senkrechten Rahmenhölzer sind etwas länger und werden auf der Baustelle bei Bedarf dann noch zu einem kleinen Oberlicht »improvisiert«.
Zum Leben zu wenig
Aber eine solche Tür ist für den allergrößten Teil der Kubaner unerschwinglich. Der durchschnittliche Lohn reicht bei Weitem nicht zum Überleben im karibischen Paradies, geschweige denn dazu, den Ausbau der eigenen Unterkunft voranzutreiben.
Die Kubaner haben gelernt, den widrigen Umständen zu trotzen und so ist Schwarzarbeit weit verbreitet. Auch die Tauschwirtschaft in Verbindung mit einer generell großen Solidarität zwischen den Menschen in den Dörfern hilft, zurechtzukommen. Im Grunde machen alle mit, nur wenige können es sich leisten, es anders zu machen.
Die Struktur des Schreinerhandwerks ist durchaus vergleichbar mit der hierzulande, wenngleich sie in Kuba staatlich verordnet ist. Es gibt Schreiner, die in Form von kleinen Manufakturen auf den Möbelbau spezialisiert sind. Andere sind reine Bauschreinereien und haben derzeit vor allem in Havanna und in Trinidad wegen den umfangreichen, von der Unesco finanzierten Restaurierungsarbeiten viel zu tun. Und es gibt die Schreiner, die alles machen. Den Stuhl des Nachbarn reparieren oder ein kleines Haus in Rahmenkonstruktion errichten.
Alles wird verwendet
Ganz anders zeigt sich die Situation für die produzierten Waren. Fenster haben keine Scheibe, sondern traditionell horizontale Klapplamellen, die in Kuba meist aus Holz gefertigt sind. Ähnlich einem Klappladen, werden die Lamellen über einen Hebelmechanismus geschlossen oder lassen waagrecht stehend Licht und Luft in den Raum. Die Konstruktionen mit einfachem Falz muten eher wie die Front einer Einbauschrankwand an, denn wie ein Bauelement. Jedes Stück Holz wird verwendet, egal ob ein großer Ast für eine Krümmung sorgt, oder das Kiefernholz verkient ist. Der Möbelbau beschränkt sich auf einfachste Stuhl- und Tischmodelle. Im ganzen Land ist ein Typ Stuhl anzutreffen, dessen senkrecht stehende Lehne und rechtwinklige Sitzposition man nicht so schnell vergisst. Sitzfläche und Rückenlehne des Modells sind mit Rinderfell bespannt und grob gezimmert. Andere, modernere Möbel sind aus China importiert und von zweifelhafter Schönheit sowie Qualität.
Die Werkstatt quasi ins Wohnhaus integriert hat Rodrigo. Er lebt in einem kleinen Dorf im Südosten des Landes. Dort macht ihm vor allem der Mangel an Schleifpapier zu schaffen. Spanende Werkzeuge lassen sich immer irgendwie schärfen oder reparieren, aber Schleifpapier ist schwer zu recyceln. Nicht ohne Stolz präsentiert Rodrigo seine drei metallenen, amerikanischen Handhobel, die etwas abseits auf einem Tuch liegend bereitgestellt sind. Auf seine Maschinen ist er weniger stolz, obwohl er auf drei Tellerschleifmaschinen und zwei Kreissägen verweisen kann.
Der Verfall ist unaufhaltbar
Wie so oft in Kubas Werkstätten, muten die Maschinen wie selbst gebaut an: mit Holz verkleidete Motoren, vielleicht ein Anschlag. Eine davon hat Rodrigo drei Finger seiner rechten Hand gekostet. Eine Kreissäge mit Spaltkeil, das ist in Kuba die Ausnahme, nicht die Regel. Selbst dort, wo die maschinelle Ausstattung dies zulassen würde, fehlt die elementare Sicherheitseinrichtung. Wie zum Beispiel in einer der privilegierten Schreinereien in Trinidad, dessen gesamte Altstadt zum Unesco-Weltkulturerbe erkärt wurde. Jetzt fließen Gelder und dank einer Kooperation mit Spanien, finden sich in der Schreinerei inzwischen italienische Maschinen jüngerer Bauart. Es gibt sogar eine neuwertige Tischfräse, die allerdings mangels Werkzeugen still steht. Die sollen irgendwann auch geliefert werden. Man wartet einfach – das Warten sind die Menschen in der sozialistischen Mangelwirtschaft gewohnt. Zeit scheint das einzig nicht knappe Gut zu sein. In der Werkstatt in Trinidad arbeiten fünf ausgebildete Schreiner. Auch das zeigt die besondere Situation. Denn in der Regel lernt man in Kuba einen Handwerksberuf auf der Straße, im Eigenstudium oder eben irgendwo in einer Werkstatt ohne konkreten Plan. Derzeit gibt es für Schreiner nur eine einzige Ausbildungsstätte im ganzen Land. Diese befindet sich in Havanna. Dort lernen etwa 30 Lehrlinge unter Aufsicht bei täglicher Arbeit alle wichtigen Verfahren und Techniken. Aber das ist freilich viel zu wenig für ein Land, dessen Städte vor allem aus Bauruinen bestehen.
Improvisieren mit Nichts
Kein Wunder also, dass bei Restaurationsarbeiten oft mit ausländischer Hilfe gearbeitet wird. Aus eigener Kraft können kubanische Handwerker ihr koloniales Erbe kaum vor dem Verfall schützen. Dazu fehlt es an Wissen, Können und Willen. Viele Renovationsarbeiten sind meist nur kurzlebiger Natur und beschränken sich oft auf frische Farbe. Die Jahrzehnte des Mangels an Ausbildung, Material und Wertschätzung haben die Handwerkskultur auf ein Niveau des Improvisierens mit Nichts sinken lassen. Die vielerorts in den Städten anzutreffenden, noch erhaltenen schönen Möbel, Fenster und Türen in den Kolonialgebäuden stehen so in einem krassen Widerspruch zum derzeitigen Schaffen der Schreiner in Kuba. Ändern dürfte sich diese Situation wohl erst, wenn die trotz aller widrigen Umstände lebensfrohen Menschen in Kuba sich nicht täglich um den Mangel an Essen kümmern müssen. Christian Härtel

Unser Mann in Kuba

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dds-Autor Christian Härtel ist gelernter Schreiner und befindet sich auf einer einjährigen Reise durch die Karibik, Südamerika und Afrika. Zurzeit bereist er Peru.
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