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CAD/CAM im Schreinerhandwerk

dds vor Ort bei Schreinerei Brüderl
CAD/CAM im Schreinerhandwerk

Viele Kollegen fragen sich, ob sie weiter in die Fertigung investieren, oder doch das ein oder andere von Kollegen zukaufen sollen. Schorsch Brüderl entschloss sich, die Wertschöpfung zu erhöhen, und trimmte seinen modernen Betrieb noch mal so richtig auf Effizienz.

 

»Brauchen Sie einen Hubwagen?« Die Frage kommt für den Besucher dann doch etwas überraschend. »Hubwagen sind Zeitfresser. Sie können gerne einen mitnehmen, die will ich alle raushaben aus der Werkstatt«, grinst Schorsch Brüderl beim Rundgang durch die Fertigung. Zeitfresser sind dem Inhaber und Geschäftsführer der Brüderl Manufaktur in Traunreut ein Greuel, so viel ist also klar. Aber erklärt das, warum einer, der einen richtig gut aufgestellten Betrieb hat, eine Menge Geld in die Hand nimmt und AV und Werkstatt samt allen Abläufen komplett umkrempelt?

Die Brüderl Manufaktur ist eine Schreinerei mit rund 50 Mitarbeitern und als solches Teil der Brüderl-Gruppe. Die entwickelt, plant und baut Projekte wie z. B. Wohnanlagen oder Ärztezentren und richtet diese auch bis zur schlüsselfertigen Übergabe ein. Schorsch Brüderl selbst ist Architekt und hat die vom Vater gegründete Schreinerei um den Architektur- und Baubereich erweitert. Die Gruppe beschäftigt insgesamt 85 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Die Flucht nach vorn?
Bei einem der Strategiemeetings mit seinen Söhnen Georg und Benedikt ging es um die Frage, wie sich die Schreinerei weiter entwickeln soll. Bisher lief es dort, wie in vielen anderen Betrieben auch: Die Mitarbeiter gaben ihr Bestes, es standen moderne Maschinen und die verschiedensten Softwaretools zur Verfügung, dennoch war die Ertragssituation eher bescheiden. Dem Trio war klar: »Wenn wir auch in Zukunft mit der Werkstatt Geld verdienen wollen, müssen wir effizienter werden.« »30 Prozent mehr müssen drin sein« so Schorsch Brüderl, »und zwar in Form von höherer Effizienz, besserer Qualität und mehr Menge.«
Dass diese Steigerung auch bei bereits ordentlich laufenden Betrieben grundsätzlich möglich ist, davon sind Thomas Mayer und Christian Koller überzeugt. Die beiden Holztechniker sind Geschäftsführer des Unternehmens Datenschreinerei. Als Spezialisten in Sachen CAD-/CAM helfen sie Betrieben bei der Einführung eines durchgängigen Daten- und Fertigungsflusses von der AV über die Fertigung bis zur Montage. Schorsch Brüderl und seine Söhne entschieden sich für die Flucht nach vorn, holten Koller und Mayer als Dienstleister auf Zeit an Bord und gaben den Startschuss für das Projekt »Effizienzsteigerung«.
Thomas Mayer und Christian Koller nahmen im ersten Schritt den Istzustand bei Brüderl genau unter die Lupe. Konstruiert wurde per CAD in 2D, dann erfolgte die Übergabe an die Branchensoftware zur Stücklistenerzeugung. Schon hier gab es erste Schnittstellenprobleme, die sich in den verschiedenen weiteren Programmen, die bis zur Ansteuerung der Maschinen notwendig waren, fortsetzten. Thomas Mayer: »Die Arbeitsvorbereitung ist in vielen Betrieben nicht gut organisiert. Die Mitarbeiter müssen sich im CAD bewegen, im CAD-/CAM-Modul, in der Maschinen- und der Branchensoftware. Jedes Programm hat seine Eigenheiten und eine andere Bedienoberfläche. Der AV’ler ist aber Konstrukteur und nicht Programmierer!«
3D-Konstruktion als Herzstück
Als Dreh- und Angelpunkt der AV haben Koller und Mayer das 3D-CAD/CAM-Programm Imos eingeführt. Aus der Konstruktion heraus werden per »Oneklick« Daten für die Zuschnittoptimierung erzeugt, die Prozessdaten für die Maschinen, Stücklisten, Arbeitspläne, Explosionszeichnungen – alles, was für Fertigung und Montage benötigt wird.
Die Umstellung auf die 3D-Konstruktion hatte weitreichende Folgen für den gesamten Betrieb. Um die neuen Möglichkeiten tatsächlich optimal zu nutzen, waren andere Maschinenkonfigurationen erforderlich: Von Säge über Kante bis CNC wurden Ersatzinvestitionen getätigt. Der Zuschnitt erfolgt jetzt auf einer Druckbalkensäge Holzma HPP 300. Ein Beschicker TLF 211 versorgt aus einem angeschlossenen Plattenlager die Säge automatisch mit dem richtigen Material. Die Zuschnitte werden mit einem an der Säge ausgedruckten Etikett versehen, das alle zur weiteren Bearbeitung erforderlichen Informationen erhält. Im Bereich Kante wurde in eine Homag KAL 370 Ambition 2482 investiert. Diese Maschine ist mit PU-Auftragseinheit ausgestattet und verfügt neben dem Formfräsaggregat FK 30 über ein Folien- und Hochglanzpaket. Durch eine Teilerückführung ist sie für den Einmannbetrieb ausgelegt. Im CNC-Bereich wird über einen Barcode auf dem Teile-Etikett zum einen ein Homag BMG 311 5-Achs-BAZ angesteuert, zum anderen ein Bohr-BAZ BHX 055 von Weeke für stehenden Teiledurchlauf.
Folgen für den Maschinenpark
Als CAD/CAM-Spezialisten haben Koller und Mayer für Brüderl nicht nur sämtliche Stammdaten angelegt, sondern auch alle notwendigen Anpassungen an Imos vorgenommen und die erforderlichen Schnittstellen programmiert bzw. implementiert.
Da alle Umstellarbeiten bei laufendem Betrieb stattfinden mussten, entschieden sich Koller und Mayer für folgenden Prozess: 3D-CAD/CAM anpassen auf Altmaschinen, Neumaschinen installieren, CAD/CAM auf Neumaschinen umziehen, Altmaschinen abbauen.
Innerhalb der Werkstatt ergab sich ein komplett neuer Produktionsablauf, der ganz praktisch zu einer Menge Umbau- und Umräumarbeiten führte. Für Schorsch Brüderl war das eine Art »Reinigungsprozess«: »Wir haben mehrere Hundert Kubikmeter Material entsorgt, überflüssige Wagen und Kisten entsorgt usw. – eben auch im wörtlichen Sinn den Fertigungsablauf entrümpelt!«
Da die Fertigung bei Brüderl auf zwei Gebäude verteilt ist, war der Materialtransport eine Herausforderung. Zwischen Halle 1, in der jetzt die Säge steht und Halle 2, in der Kante, CNC und Weiterbearbeitung untergebracht sind, liegen zwar nur wenige Meter, es ist aber eine viel befahrene Straße zu überqueren. Mayer und Koller lösten das Problem mit einem »Routenzug«. Dabei handelt es sich um ein Elektrofahrzeug, in dessen Anhänger die bei Brüderl benutzten Kommissionierwagen verladen werden. Die Anhänger laufen exakt in der Spur des Zugfahrzeuges. Dieser Routenzug bringt die Zuschnitte zur Kantenanleimmaschine, transportiert aber auch Kleinmaterial, Fertigteile u. ä.
Nicht nur die ungewöhnliche Transportlösung wurde von dem ein oder anderen Mitarbeiter zunächst skeptisch beäugt. Schorsch Brüderl: »Die Mitarbeiter bei so einem Prozess einzubinden und mitzunehmen ist eine Riesenherausforderung. Wir haben immer wieder Gespräche mit den einzelnen Teams geführt, erklärt was wir vorhaben und warum.« »Teams« gibt es bei Brüderl sieben: AV, »Kopfmaschinen« (Säge/Kante/CNC), »Manufaktur« (Standardmaschinen), Vormontage, Oberfläche, Endmontage, Außenmontage. Ein Teamleiter steuert die Abläufe und ist verantwortlich gegenüber dem Fertigungsleiter, der seinerseits Ansprechpartner für die Projektleiter ist.
»Investition in die Zukunft«
Von den ersten Überlegungen bis zur mittlerweile lauffähigen »neuen Werkstatt« sind rund eineinhalb Jahre vergangen. Alleine die Kosten für Software, Dienstleistung, interne Schulungen etc. summiert sich bei Brüderl auf rund eine viertel Million Euro. Dazu kommen die neuen Maschinen, der Routenzug und kleinere bauliche Änderungen. Für Schorsch Brüderl ist das eine Investition, die sich im Laufe der nächsten Jahre amortisieren und dem Unternehmen die Zukunft sichern wird. Eine Zukunft mit deutlich weniger Zeitfressern als bisher.
Spätestens dann wird sicher auch der letzte Hubwagen aus dem Betrieb verschwunden sein und einen Abnehmer gefunden haben.

dds-Chefredakteur Hans Graffé hat sich bei der Schreinerei Brüderl vor Ort das Thema 3D-Konstruktion angesehen und sich von den entschlusskräftigen Bayern die darauf aufbauende vernetzte Fertigung erklären lassen.

Projektbeteiligte

Anwender: Brüderl Manufaktur GmbH, Traunreut, www.bruederl.de
CAD/CAM-Dienstleister: Datenschreinerei, Saaldorf-Surheim, www.datenschreinerei.de
Software: Imos AG, Herford, www.imos3d.com
Maschinen: Homag, www.homag-group.de
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