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Die Retrofalle - dds – Das Magazin für Möbel und Ausbau

Meisterstücke
Die Retrofalle

Das originelle Meisterstück von Patrick Bindl erinnert an die Anfänge der Fernsehmöbel. Ursprünglich der Bildröhre angepasste Profile übernehmen eine rein dekorative Funktion – und verwandeln sich so in Stilzitate ohne Kontext.

Eckhard Heyelmann, Garmisch-Partenkirchen, Innenarchitekt und Dipl.-Designer, Schulleiter a. D.

Eine klassische Kommode im Stil der 50ger Jahre zu fertigen war für Patrick Bindl ein Leitgedanke zu seinem Meisterstück. Um die kantige Form der Vorderansicht aufzulockern, kombiniert er diese mit einem Rahmen, der an die Frontgestaltung der Fernsehgeräte der 60er-Jahre angelehnt ist. Die außen liegende Profilfläche des geteilten Rahmens ist sphärisch gekrümmt. Die Rahmenprofile der Türen sind an der Anschlagseite genutet und auf Gehrung verbunden. An der Aufschlagseite ist die innen liegende Wange der Nut auf Gehrung abgesetzt. Die an der Außenseite mit Baumwollfilz bezogenen Füllungen werden von der Anschlagseite gesehen u-förmig formschlüssig eingefasst. An der Aufschlagseite fehlt die Einfassung; das Profil wird als Hirnholz sichtbar und die Mixtur aus Rahmen- und Plattenbau zum Blendwerk.
Korpus und Rahmen aus Eschenholz haben geölt und gewachst einen satten gelblich weißen bis orangenen Farbton. Im Kontrast steht dazu der homogene, leuchtend blaue Filz, der um alle sichtbaren Kanten und Flächen der Füllungen und Schubkastendoppel geschlagen ist und dem Möbel eine frische, plakative Wirkung gibt. Vor dem Hintergrund der spezifischen Eigenschaften von Filz, insbesondere seiner haptischen Qualität, ist das Material an dieser Stelle jedoch fragwürdig. Dies zeigen auch die in den Filz eingelegten Scheingriffe: Sie sollen die Bedienung des Tip-on-Beschlags verorten und die zwanggsläufig entstehenden Gebrauchsspuren verhindern. Die Gestaltung des Möbels geht von der Front aus: Eine ursprünglich durch die Form der Kathodenstrahlröhre bedingte Einfassung wird als stilistisches Element herausgelöst, ins Breitformat geweitet, ohne dem Möbel eine Dimension über den rein historischen Kontext hinaus zu geben. Ein Bezug auf Möbelformen der Vergangenheit sollte sich aber nicht auf formale Aspekte beschränken, sondern die Frage nach der Idee des damaligen Entwurfs stellen. Der sich in den 1950er- und 1960er-Jahren stark ausbreitende Funktionalismus wollte durch zweck- und materialgerechte Entwürfe, durch das Sichtbarmachen des konstruktiven Prinzips die Schönheit der Form prägen. Beim modisch verstandenen Retrotrend fehlt eine Zielsetzung, die über die Form hinausgeht. Auf das vorliegende Stück bezogen, hätte der funktionalistische Ansatz sicherlich zu anderen Formen und anderen Materialien geführt.
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